Das vertauschte Gesicht
war. Vielleicht würde es der heißeste Tag werden, seit er gekommen war. Salvador machte ein Zeichen zum Himmel und verdrehte die Augen, als Winter vorbeiging. Der Sommer biss sich fest.
Er trank seinen Kaffee bei Gaspar und rauchte einen Zigarillo. Die Bedienung und der Lungenpatient, der an seinem üblichen Tisch saß und den Morgen auf der Plaza Puente de Malaga zerhustete und nur für einen Moment verstummte, wenn der Kellner mit dem Ginglas kam, kannten ihn schon. Der Mann nickte Winter freundlich zu und hob sein Glas.
Winter fühlte sich wie zerschlagen. Gleich würde er wieder ins Krankenhaus fahren, beschloss aber, vorher einen Spaziergang zu unternehmen, um seine Muskeln aufzulockern. Er trank seinen Kaffee, drückte den Zigarillo aus und zahlte. Bevor er aufstand, rief er kurz seine Mutter im Krankenhaus an. Nichts Neues, in keiner Hinsicht.
Er warf einen Blick auf seinen kleinen Stadtplan von Marbella. Er könnte zur Busstation hinaufgehen, die auf einer Anhöhe über der Stadt lag, und dann zurück. Vielleicht eine Stunde. Vernünftige Bewegung.
Die Calle de las Penuelas führte von der Plaza nach Norden, er folgte der Straße ein Stück und bog dann nach links in die Calle San Antonio ein, die sich der Karte nach zu urteilen den Berg hinaufschlängelte.
Schon nach hundert Metern gelangte er in ein anderes Marbella, anders als die relativ normalen Wohngebiete, in denen er sich bisher bewegt hatte. Hier gab es Bars und Läden für die Spanier; alte Frauen saßen aufgereiht vor den Häusern, Männer in den Cafes, Kinder waren auf dem Weg zur Schule oder von dort nach Hause. Eisdielen, Bäcker, Schlachter, der Geruch nach frischem Fleisch vor den Metzgereien. Ein junges Mädchen mit einem Laib Brot unterm Arm. Die Sonne und die Schatten, wie ein Spiel schon in der frühen Morgenstunde. Er ging an dem Colegio Püblico Garcia Lorca vorbei, von dem ihm Stimmen von Schülern entgegenhallten, die Pause hatten.
Weiter nördlich gelangte er zu einer größeren Schnellstraße, Avenida Anas de Velasco, und bog nach einem Blick auf den Plan nach links ab.
Er war einige hundert Meter gegangen, da entdeckte er auf der linken Seite das Polizeirevier, Comisaria de Policia Nacional. Es war klein, aus grauem Marmor erbaut, mit einigen Glaswänden, zum Eingang führte eine geteilte Treppe hinauf. Dort gab es zwei Schilder: Oficina de Denuncias und Pasaportes Extranjeros. Er empfand Sympathie mit den Kollegen. In Marbella gab es sicher viel zu tun, besonders in der Herbstsaison. Taschendiebe. Verlorene Pässe. Winter hatte Mitleid mit Taschendieben, fast genauso großes Mitleid mit den armen Kerlen, die es nicht schafften, sich gegen sie zu schützen.
Und dann war da noch die Mafia. Es ging das Gerücht, Marbella sei der neue Lieblingsort für das organisierte Verbrechen. Das hatte er in irgendeinem Bericht gelesen. Marbella als Paradies der Steuerflüchtlinge und der Mafia.
Zwei Kollegen in Uniform kamen die Treppe des Polizeireviers herunter, und Winter hätte ihnen fast zugenickt, als sie vor ihm die Straße überquerten und die Bar el de Enfrente gegenüber betraten. Ein stärkendes Glas Gin am späten Morgen.
Winter hatte Durst und dachte an ein Bier, stieg aber weiter die Treppe hinauf. Einer der Polizisten kam aus der Bar und ging in einen Motorradladen.
Als er das Plateau erreicht hatte, überquerte er die Autobahn über die Brücke und ging nach links zur Busstation. Von hier aus sah er die Stadt unter sich, das Meer und den Horizont. Nirgendwo Wolken. Das war den Spaziergang wert gewesen. Er konnte weit sehen, bis Nueva Andalucia, und noch weiter im Osten machte er einen Klotz aus, der das Hospital Costa del Sol sein könnte.
Jetzt war er den Berge n näher. Er sah sie durch die Glastüren der Busstation und ging hinein. Eine große Menschenmenge strömte ihm entgegen und drängte sich um ihn. Er nahm den Geruch von Schweiß und Sonnencreme wahr, ein Ellenbogen stieß ihn in die Seite, und er versuchte ihn abzuwehren.
Eine halbe Minute später war die Menschenmenge verschwunden, und Winter war drinnen im Gebäude. Er sah sich um, stieg rechts eine halbe Treppe zu einer großen Cafeteria hinauf und bestellte einen Kaffee und eine kleine Flasche Mineralwasser. Er steckte die Hand in die Innentasche seiner Leinenjacke und... und... was zum... Er fuhr mit der Hand in die andere Tasche. Auch leer. Er steckte die Hand wieder in die linke Tasche und spürte das Loch, die Hand glitt hindurch. Was zum Teufel.
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