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Das vertauschte Gesicht

Das vertauschte Gesicht

Titel: Das vertauschte Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ake Edwardson
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Der Junge hinterm Tresen wartete darauf, dass er zahlte, und schien die Panik in seinen Augen zu sehen. Jetzt zeigte er auf Winter, auf die Jacke. Winter hob den linken Arm und musterte die Innenseite der Jacke. Ein glatter Schnitt durch alle Stoffschichten bis zur Innentasche, wo seine Brieftasche gesteckt hatte. Adressen. Führerschein. Kreditkarten... Scheiße, die Kreditkarten, VISA, Mastercard. Er riss das Handy aus der Tasche, wählte eine Nummer und wartete ungeduldig.
    »Angela.«
    »Hier Erik. Ich wusste nicht, ob du schon weg bist. Ich bin beklaut worden und hab die Nummer für die Sperrung der Kreditkarten nicht. First Card von der Nordbanken.«
    »Du bist beraubt worden? Bist du verletzt?«
    »Nein, nein. Es war ein Taschendieb. Über die Einzelheiten können wir später reden. Rufst du bitte sofort dort an? Ich glaub, an der Pinnwand im Flur hängen ein paar Telefonnummern. Ja, über der Kommode. Zwei Kärtchen. Nein, nur anrufen. Die haben alle Angaben. Wie bitte? Es ist gerade passiert, erst vor fünf Minuten. Vielleicht sieben. Ich bin ein Stück oberhalb der Stadt, der Kerl muss erst runter ins Zentrum zu einem Bankautomaten, das schafft er nicht, wenn sofort gesperrt wird.«
    »Ich kümmere mich darum.« »Ruf mich gleich wieder an.«
    Er drückte auf Aus und sah den Jungen hinterm Tresen an, der das Gespräch verfolgt hatte. Winter hatte noch nicht von seinem Kaffee oder dem Wasser getrunken.
    »Un ladrön, eh?«
    Winter verstand nicht, was der Junge sagte, antwortete jedoch mit einem Nicken.
    »Ha robado la cartera, eh?« Der Junge zeigte auf Winters Achselhöhle. »La cartera. Hijo de la puta.« Er schüttelte den Kopf über alles Gesindel dieser Welt. »Hijo de la puta.«
    »Yes«, sagte Winter. »The son of a bitch stole my wallet.« Er sah auf die Kaffeetasse. Der Kaffee dampfte noch. Er hätte ihn gern getrunken, aber er konnte ihn nicht bezahlen.
    »Sirvase«, sagte der Junge mit einer mitleidigen Gebärde zum Tresen und zur Tasse. »Please. It's on the house.«
    Sie lachte ihn aus. Es war das erste Mal... als alles angefangen hatte. Sie, die andere, und er... beide hatten gelacht.
    Sie hatte gesagt, er sei kein richtiger Mann. Guck dich doch an, hatte sie gesagt.
    Jetzt tat er alles, was er wollte, in diesem Zimmer, das ganz weiß vor seinen Augen geworden war, er sah sie kaum, als er zum Kassettendeck ging und die Musik wieder anstellte, die der andere mit einem Fluch abgestellt hatte, nur eine Sekunde später, nachdem er sie angestellt hatte.
    »Mach die Musik nicht aus«, sagte er. »Du bist ja nicht ganz dicht.« »Nicht ausmachen.« »Du verschwindest hier jetzt!«
    »Hau ab«, sagte sie. »Wir wollen dich nicht hier haben.«
    »Ich bleibe hier«, sagte er, stellte die Musik lauter und begann, sich zu den Bässen, zu den Gitarren zu bewegen. Das Zimmer war weiß. Er presste die Augen zusammen. Er sah nichts mehr. Es gab keine Dunkelheit. Er spürte etwas an seinem Magen, wie einen Schlag oder einen Tritt, aber er hielt die Augen geschlossen. Das Weiße war da draußen. Er wollte es nicht sehen. Überall war die Musik, WOAHWAOHWHÄÄÄWHO, AWHÄÄÄWHO, er spürte noch einen Schlag, jemand riss ihn an den Haaren, und er öffnete die Augen. Der andere schlug noch einmal zu, sodass er taumelte. Der andere wollte an die Musik heran, aber jetzt bestimmte er hier. Er bestimmte. Wenn er still liegen bliebe und ihn die Musik abstellen ließ, wäre es vorüber, und er wünschte, es wäre vorüber, aber er konnte nicht still liegen bleiben. Er bestimmte jetzt. Der richtige Mann. Er erhob sich und öffnete die Augen, sah durch das Weiße hindurch zu ihnen, und er wusste nicht mehr, ob es jetzt still im Zimmer war. Er hörte nichts, als er nach ihr griff, spürte nichts, auch nicht, als er nach ihm griff, nach seinem Körper. Der weiße Schimmer war da, aber entfernt jetzt, als ob er wartete. Er griff wieder nach ihr, wieder nach ihm.
    Lange Zeit.
    Er zitterte wie ein Hund. Die Musik lief immer noch, als es vorbei war. Er hatte alles getan, und zum Ende hin hatte er all die Hilfe bekommen, die er vorher vermisst hatte. Er war immer noch in dem weißen Schimmer. Er hörte die Worte, eins nach dem anderen, wo niemand anders Worte im Musikgedröhn unterscheiden konnte, the blood is sacrified in my face.
    Angela rief fünf Minuten später an.
    »Erledigt.«
    »Gut.«
    »Und was machst du jetzt?«
    »Leih mir heute etwas von meiner Mutter. Aber du kannst bei der Bank anrufen und sie bitten, mir bis

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