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Das vertauschte Gesicht

Das vertauschte Gesicht

Titel: Das vertauschte Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ake Edwardson
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weißer Kittel.«
    In den wenigen frühen Morgenstunden schlief er unruhig. Der Kühlschrank in dem einfachen Zimmer rauschte lauter als vorher. Nein, nein. Es war wie immer. Alle Geräusche waren die gleichen. Die Frau in einem der Nachbarhäuser brüllte kurz vor sechs ihren Mann an, und eine Viertelstunde später waren Hammerschläge zu hören. Aha. Das war also der Tischler.
    Er hatte seine Jackentaschen auf dem schweren Tisch bei der Garderobe geleert.
    Ihre Visitenkarte schimmerte im Morgenlicht, das vom Patio hereinsickerte.
    Winter schüttelte den Kopf und ging unter die Dusche.
    Der Nebentisch bei Gaspar war leer. Winter vermisste seinen röchelnden Frühstücksnachbarn. Der Kellner brachte Kaffee und Tostadas, ohne dass er bestellt hatte. Er sah Winters Blick zum Nachbartisch und machte ein Kreuzzeichen. Nach dem Frühstück zündete Winter sich einen Zigarillo an und verfolgte den Rauch auf dem Weg in den Himmel. Und wieder kroch die Sonne über die Sierra.
    Winters Schwester Lotta kam im selben Augenblick im Taxi an, als er auf dem Krankenhausparkplatz aus dem Mietwagen stieg. Sie war blass, ihre Haut hatte dieselbe Farbe wie der Himmel vor einer halben Stunde. In ihren Bronchien rasselte es, aber es war nichts gegen das Rasseln seines Tischnachbarn.
    »Hattest du eine gute Reise?«
    »Nein. Hinter mir hat ein Säufer gesessen.«
    »So ist das bei Charterflügen.«
    »Wie ich sehe, hast du bis jetzt keine Sonne abgekriegt.«
    »Wollen wir hineingehen?«, fragte er.
    »Wenn wir uns trauen.«
    »Er ist wach. Mama hat eben angerufen.«
    »Mich hat sie auch angerufen, im Taxi.«
    »Er liegt wieder auf der Inneren«, sagte er.
    »Das wievielte Mal ist es?«
    »Spielt das eine Rolle?«
    »Ich glaub, ich mach das Kreuzzeichen«, sagte sie, als sie die Treppen hinaufgingen und die kühle Dunkelheit betraten.
    Ihre Mutter stand im Korridor. Ein klein gewachsener Mann näherte sich und streckte die Hand aus. Lotta begrüßte ihn und sah ihren Bruder an.
    »Yo soy Pablo Alcorta. Medico.«
    »Yo soy Lotta Winter. Medico tambien, pero ahora hija de Bengt Winter.« »Ah.«
    Sie ist gerade drei Sekunden da, und schon trifft sie Alcorta, dachte Winter und streckte auch seine Hand aus. Vielleicht bin ich hier das Gespenst.
    Bergenhem ging mit Ada um den Häuserblock. Sie trippelte fasziniert neben ihm her, und als er sie wieder in den Kinderwagen setzen wollte, schrie sie wie am Spieß.
    Gestern war es unmöglich gewesen, sie in den Kindersitz im Auto zu setzen, und er war mit ihr auf dem Schoß hinterm Steuer vom Supermarkt nach Hause gefahren. Wie in Südeuropa. Sie waren nicht von Kollegen gestoppt worden.
    Morgens war Martina schweigsam gewesen, fast genauso schweigsam wie er. Jetzt war sie zur Arbeit gefahren, und er empfand es wie eine Befreiung, als sie in das leere Reihenhaus zurückkehrten. Ada lachte über etwas in ihrer Welt. Er sah sie an und schämte sich seiner Gedanken. Draußen fiel ein wenig Schnee.
    Er bereitete ihr ein Schälchen Aprikosencreme und filterte sich Kaffee. Die Zeitung lag mit den Schlagzeilen nach oben da. Er begann sie flüchtig zu lesen, während Ada zu essen versuchte. Er richtete ihr Lätzchen und ließ sie den Tisch mit Milch und Creme bespritzen.
    Er legte die Zeitung beiseite, ohne sich zu erinnern, was er gelesen hatte. Sein Körper war steif nach einer ereignislosen Nacht vor einem Haus in Hisingen. Er hatte bloß im Streifenwagen gewartet und war dann unverrichteter Dinge nach Hause gefahren. Martina hatte Ada schon in den Kindergarten gebracht. Das leere Haus, das befreiende Gefühl. Ein beschissener Ausdruck. Befreit von was?
    Er fuhr sein eigenes Auto. Das war noch keine zwölf Jahre alt. Er hatte versucht auszuschlafen, aber das war lange her. Er hielt an, um etwas zu kaufen, wusste noch nicht, was, als er den Laden betrat. Der Inhaber nickte ihm zu, als ob er Stammgast wäre.
    Auf dem Tresen lag etwas. Hatte er das gekauft? Wollte er das kaufen? Er drehte sich um und ging wieder hinaus. Er hielt es in der Hand. Niemand schrie ihm nach. Er drehte sich wieder um, und der Besitzer nickte wieder. Na klar. Jetzt wusste er, wo er war.
    Klar. Hier war er.
    Als er wieder nach draußen kam, sah er sich um. Niemand da. Er drehte um, ging zurück und wartete mit abgewandtem Kopf vor dem Laden.

15
    Es wurde Abend, und die Familie versammelte sich wieder auf der Intensivstation. Vor einer Stunde hatte Doktor Alcorta beschlossen, den schwedischen Patienten erneut zu verlegen. Der

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