Das vertauschte Gesicht
während er es sagte. Alle Fragen, die er sich selbst gestellt hatte, wenn es Nacht gewesen war und auf der Mattscheibe die Videofilme flimmerten, deren Titel er vergessen hatte, und nie hatte er begriffen, wovon sie handelten.
Er steckte sich die Ohrstöpsel in die Ohren und stellte den Walkman an. Nur ein paar Minuten. Er sah, wie Greger den Mund bewegte, und schaltete wieder ab.
»Wie bitte?«
»Ich kann es bis hierher hören.«
»Ach so.«
»Klingt schrecklich.«
Patrik wollte mit dem kurzhaarigen jüngeren Polizisten verbunden werden, und Winter nahm das Gespräch an, gleich nachdem er von einer Fahrt von Mölndal in sein Zimmer gekommen war.
»Ja?«
»Ja... hallo... hier ist Patrik Strömblad...«
Winter erkannte seine Stimme nicht gleich. Sie klang belegt.
»Hallo, Patrik.«
»Also... diese CD. Sacrament.«
»Ja?«
»Jimmo hat sie. Mein Kumpel Jimmo... «
Bergenhem hatte vergeblich in Desdemonas Archivspeicher gesucht. Aber schließlich kam von einer anderen Seite doch noch Hilfe.
»Ausgerechnet diese CD hat er? Daughter of Habak... na, du weißt schon, wie sie heißt.«
»Das ist sie«, sagte Patrik. »Er hat sie sofort rausgenommen. Sie können sie billig abkaufen, wenn Sie wollen.«
Winter konnte ein kurzes Lachen nicht unterdrücken.
»Okay. Wo ist sie?«
»Ich hab sie hier.« Patrik schien in den Hörer zu schnauben. »Hässliches Cover.« Die Stimme klang undeutlich, als würde er etwas kauen.
»Kannst du nicht damit herkommen?«, fragte Winter. »Jetzt?«
»Nur mit dem Cover?«
»Mach jetzt keine Witze, Patrik.«
»Ich hab keinen Witz gemacht.« Patriks Stimme klang auch nicht so.
»Kannst du in einer halben Stunde hier sein?« Winter sah auf die Uhr. »Bist du noch in der Schule?«
»Nein... «
»Kannst du ins Präsidium kommen? Oder sollen wir uns in der Stadt treffen?«
»Können wir das nicht morgen machen?« »Warum?«
»Ich bin... ich weiß nicht, ob ich... « »Was ist los, Patrik?« »Ähh... ich komme.«
Winter legte auf und warf einen Blick auf die anonyme Kassette, die in einem der Fächer auf dem Schreibtisch lag. Er steckte sie ins Tonbandgerät und spielte den ersten Song laut ab, nahm die Fotos hervor, betrachtete aber nur das oberste. Er griff nach dem Telefon und rief Beier an, doch der Kollege vom Fahndungsdezernat war unterwegs. Winter betrachtete wieder die Fotos, machte sich eine Notiz.
29
Ausgerechnet Halders war es. Auf der Konferenz hatte er nichts gesagt. Er fand es hinterher, später am Nachmittag, und kam zu Winter herein, ohne an die Tür zu klopfen. Er hatte ein schwarzes Buch in der Hand.
»Was Habakuk angeht«, sagte Halders, »diesen Vater von der Tochter.«
»Ich höre«, sagte Winter, der von seinen Aufzeichnungen aufschaute.
»Er war Prophet. Er hat ein eigenes Buch in der Bibel.« Halders hielt die Bibel hoch. »Eine kurze Sache.«
Das Alte Testament, dachte Winter. Die kanonischen Bücher. Na klar. Das hätten sie schon eher herauskriegen müssen.
»Gut, Fredrik.«
»Ich hatte so was im Hinterkopf. Eben ist es mir wieder eingefallen, und ich bin runter in die Bibliothek. Und da ist sein Name, der Prophet Habakuk, zwischen Nahum und Zefanja.« Wieder hielt Halders die Bibel hoch. »Ich weiß, was mich darauf gebracht hat. Ich hab zwar noch nicht meine alte Konfirmationsbibel rausgesucht, aber ich glaube sogar, dass mir der Pastor damals irgendwas aus dem Buch Habakuk als Widmung auf das Vorsatzblatt geschrieben hat.«
»Und wie hast du dich daran erinnert?«
»Es war wohl der Name. Ich glaub, deswegen hab ich nachgedacht, weil er so... besonders klingt.« Halders sah auf das Buch in seiner Hand und dann Winter an. »Ich muss damals den Text aufgeschlagen haben, weil mich der Name neugierig gemacht hat. Jetzt war's wieder so.«
Winter ließ sich die Bibel von Halders geben, eine Übersetzung von 1917, schlug das kurze Buch Habakuk auf und begann zu lesen. Halders Konfirmationspastor muss selbst aus prophetischem Holz geschnitzt gewesen sein. Der Text handelte von der Arbeit des Fahndungsdezernats. Die Überschrift des ersten Kapitels hieß »Die Klage über das Böse des Volkes«:
»Wie lange, Herr, soll ich noch rufen, und du hörst mich nicht? Ich schreie zu dir: Hilfe, Gewalt! Aber du hilfst nicht.
Warum lässt du mich die Macht des Bösen erleben und siehst der Unterdrückung zu? Wohin ich blicke, sehe ich Gewalt und Misshandlung, erhebt sich Zwietracht und Streit.
Darum ist das Gesetz ohne Kraft, und das Recht setzt sich
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