Das verwundete Land - Covenant 04
lebenswichtigen Organe verletzt.
Doch seine Qual und entschlossene Selbstverleugnung zu Covenants Gunsten sorgten dafür, daß Linden zu sich selbst zurück fand. Ein gewisses Maß ihrer altvertrauten Selbstzucht kehrte wieder, mäßigte das Pochen ihres Herzens. Sie richtete sich auf. »Komm. Wir schaffen ihn zurück aufs Floß.« Sunder nickte. Behutsam trugen sie Covenant zum Wasser. Sie klemmten seinen linken Arm auf dem Floß fest, so daß sein rechter Arm ins kühle Wasser hängen konnte, dann schoben sie das Gefährt ins Wasser und steuerten es hinaus in die Mitte der Strömung. So ließen sie sich unter dem Glühen einer rotgeränderten Sonne flußabwärts befördern.
Im Laufe des restlichen Nachmittags focht Linden gegen ihre Erinnerung an Joan, gegen das Gefühl des Versagens. Beinahe konnte sie ihre Mutter im Tode winseln hören. Covenant kam mehrmals zur Besinnung, hob seinen Kopf; aber das Gift riß ihn jedesmal in die Umnachtung, ehe er einen Ton hervorzubringen vermochte. Durch das Wasser sah Linden die schwärzliche Verfärbung zügig an seinem Arm emporschwellen, diesmal offensichtlich erheblich schneller als beim vorherigen Mal; während es zwangsweise schlummerte, mußte Marids Gift an Virulenz zugenommen haben. Der Anblick brachte Lindens Sicht ins Verschwimmen. Sie konnte die Befürchtungen, die an ihrem Herzen nagten, nicht verdrängen.
Noch vor Sonnenuntergang gab der Fluß zwischen einer Ansammlung von Hügeln sein Geschlängel auf und strömte eine Strecke weit durch ein langes, gerades Flußbett in eine Schlucht, die sich dem Mithil regelrecht aufzutun schien. Die Wände der Schlucht waren so senkrecht und kahl, als handle es sich um einen Wasserriß, und sie spiegelten den Sonnenschein mit merkwürdigem Glanz wider. Die Schlucht glich einer Diamantengrube; ihre Wände bestanden aus facettiertem Kristall, der das Licht einfing und in feinen Schattierungen von Weiß und Rosa zurückwarf. Als die Sonne der Seuchen den Horizont berührte, die Landschaft mit zinnoberroter Flut zu überrollen schien, verwandelte sich die Schlucht in eine Stätte außergewöhnlicher Schönheit.
Auf den Uferbänken betätigten sich Menschen; ihnen ließ sich jedoch nicht ansehen, ob sie das Floß bemerkten oder nicht. Der Fluß lag bereits im Schatten, und der Widerschein des Kristalls blendete zweifellos. Wenig später trieb das Floß von der geraden Strecke des Wasserlaufs in die Schlucht. Linden und Sunder wechselten einen Blick und machten sich daran, das Floß am Eingang der Schlucht an Land zu steuern. In abendlicher Dämmerung, nur noch aufgehellt durch letztes Licht längs des Randes der Schlucht, zerrten sie das Gefährt ein Stück weit die Böschung hinauf und betteten Covenant vorsichtig auf trockenen Untergrund. Sein Arm war bis zur Schulter dick geschwollen und schwarz, grausam eingeschnürt sowohl durch seinen Ring wie auch durch das T-Shirt, und er stöhnte, wenn man ihn bewegte.
Linden setzte sich neben ihn, strich ihm über die Stirn; ihr Blick jedoch ruhte auf Sunder. »Ich weiß nicht, was ich tun soll«, erklärte sie unumwunden. »Wir müssen die Leute in dieser Gegend um Hilfe bitten.«
Der Steinmeister stand mit um den Brustkorb geschlungenen Armen da, als umarme er seinen Schmerz. »Das können wir nicht. Hast du vergessen, was zu Steinhausen Mithil geschah? Für diese Menschen bedeuten wir Blut, das sie vergießen können, ohne selber Opfer zu bringen. Und die Predigt der Sonnengefolgschaft spricht wider den Ur-Lord. Ich habe euch aus Steinhausen Mithil gerettet. Wer sollte uns hier retten?«
Linden beherrschte sich. »Warum haben wir dann hier haltgemacht?«
Sunder hob die Schultern, zuckte zusammen. »Wir brauchen Nahrung. Nur wenige Ussusimiel sind uns verblieben.«
»Und wie können wir nach deiner Meinung an Nahrung gelangen?« Der Sarkasmus in ihrem Tonfall mißfiel Linden, aber sie vermochte ihn nicht zu verscheuchen.
»Sobald man schläft ...« Sunders Augen verrieten seinen Widerwillen gegen das Notwendige mit der Klarheit von Worten. »... werde ich versuchen zu stehlen, was wir brauchen.«
Unwillentlich schnitt Linden eine Grimasse des Mißmuts. »Und wenn Wächter da sind?«
»Sie werden in den Hügeln Wache halten und auch von dort aus den Fluß beobachten. Auf anderem Wege kann man nicht zu der Ortschaft gelangen. Wenn man uns noch nicht erspäht hat, mag's sein, daß wir keinen Anlaß zu übermäßiger Sorge besitzen.«
Linden teilte seine Auffassung. Der Gedanke
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