Das verwundete Land - Covenant 04
ebenfalls ein Steinhausener, eine hochgewachsene, stämmige Erscheinung mit zottigem schwarzem Bart, die Augen verdüstert von innerem Konflikt. Die andere männliche Person ihm gegenüber jedoch unterschied sich von jeder, die Linden bisher in dieser Welt gesehen hatte. Dieser Mann stak in einer Gewandung aus einer Robe von kräftigem Rot und einer Art von Kasel in Schwarz. Eine Kapuze überschattete sein Gesicht. Seine Hände hielten einen kurzen eisernen Stab mit einem am einen Ende angebrachten offenen Dreieck, so etwas wie ein Zepter. Er verbreitete eine Ausstrahlung anmaßenden Stolzes und der Bosheit, so als trotze er dem gesamten Steinhausen.
»Ein Gefolgsmann!« zischelte Sunder. »Ein Mitglied der Sonnengefolgschaft.«
Die Frau – in Wirklichkeit kaum mehr als ein Mädchen – wandte sich an den hünenhaften Steinhausener. »Croft!« flehte sie ihn an. Tränen beträufelten ihre Miene. »Du bist der Steinmeister. Du mußt es untersagen!«
»Gewiß, Hollian«, antwortete der Mann mit großer Bitterkeit. Beim Sprechen spielten seine Hände mit einem dünnen Holzstab. »Durchs Recht von Blut und Macht bin ich der Steinmeister. Und du bist eine Sonnenseherin, eine Begnadete, die für das Leben von Steinhausen Kristall von unschätzbarem Wert ist. Aber er ist na-Mhoram-Wist Sivit. Im Namen der Sonnengefolgschaft fordert er dich uns ab. Wie könnte ich sein Verlangen zurückweisen?«
»Du kannst es zurückweisen ...«, begann der Gefolgsmann in unheilvollem Tonfall.
»Du mußt es ablehnen«, rief die Frau.
»Aber falls du's zurückweist«, sprach Sivit unerbittlich weiter, »sollte es dir in den Sinn kommen, es abzulehnen, ich schwöre beim Sonnenübel, dann werde ich den Zorn des na-Mhoram auf euch herabrufen, und ihr werdet unter seiner Gewalt zermalmt und zerstreut wie Spreu.«
Als das Wort Zorn fiel, ging ein Stöhnen durch die Reihen der Steinhausener, und Sunder schauderte.
Aber Hollian setzte sich über die Furcht der übrigen Dörfler hinweg. »Croft«, beharrte sie, »weise ihn ab! Mich kümmert weder der na-Mhoram noch sein Zorn . Ich bin Sonnenseherin. Ich sage das Sonnenübel voraus. Kein Unheil, kein Zorn und kein Fluch wird euch unvorbereitet heimsuchen, solange ich unter euch weile. Croft! Meine Brüder und Schwestern!« Sie wandte sich an den Kreis der Steinhausener. »Bin ich ein Nichts, daß ihr mich nach dem Mutwillen na-Mhoram-Wist Sivits von euch stoßt?!«
»Mutwille?« fuhr der Gefolgsmann auf. »Ich spreche für die Sonnengefolgschaft. Meine Worte beruhen nicht auf Mutwillen. Vernimm meine Worte, Dirne. Ich verlange deine Herausgabe mit dem Recht des Dienstes. Ohne das Walten der Sonnengefolgschaft, ohne die Weisheit der Predigt und das Opfer des na-Mhoram gäbe es in keinem Steinhausen und keinem Holzheim, trotz all deines Hochmuts, keinen lebenden Menschen mehr. Aber unser Werk fordert Leben. Du wähnst, dich mir verweigern zu können? Bemitleidenswerte Torheit!«
»Sie ist uns wert und teuer«, sagte der hochgewachsene Steinmeister leise. »Ich bitte dich, zwinge uns deinen Willen nicht auf.«
»So, ist sie das?« schalt Sivit wütend, schwang sein Zepter. »Ihr seid von ihrer Torheit gar selbst betört. Sie kann niemandem wert und teuer sein. Sie ist ein Greuel! Ihr haltet sie für eine Sonnenseherin, eine im Lande seltene Gunst. Aber ich sage euch, sie ist eine Sonnenweise! Verflucht, eine Dienerin a-Jeroths zu sein! Sie sagt das Sonnenübel nicht voraus. Vielmehr ist sie's, die es nach ihrer Laune Wechsel um Wechsel durchlaufen läßt. Sie und ihre abscheuliche Art sind's, gegen die sich das ganze Wirken der Sonnengefolgschaft richtet, die danach strebt, das Unheil abzuwenden, das von solchen Geschöpfen vollbracht wird.«
Der Gefolgsmann schimpfte weiter; doch Linden hörte nicht mehr hin. »Warum will er sie mitnehmen?« wisperte sie Sunder zu.
»Hast du bis zu diesem Augenblick noch nichts gelernt?« versetzte Sunder gedämpft. »Die Sonnengefolgschaft hat Einfluß auf das Sonnenübel. Zur Ausübung dieser Macht benötigt sie Blut.«
»Blut?«
Sunder nickte. »Ständig ziehen Gefolgsleute durchs Land, besuchen jeden Ort immer wieder. Bei jedem Besuch beanspruchen sie zwei oder drei Leben für die Sonnengefolgschaft ... stets das Leben von jungen, starken Menschen. Sie bringen sie nach Schwelgenstein, wo der na-Mhoram seine Werke verrichtet.«
Linden rang mit ihrer Wut, bemühte sich, ihre Stimme im Flüsterton zu belassen. »Du meinst, man bringt sie
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