Das verwundete Land - Covenant 04
Tage wolkenbruchartiger Regenfälle niedergedrückt worden waren, um nun unter der Sonne der Seuchen zu faulen. Indem das Nahen des Tages die Luft aufrührte, wehten überm Mithil Ausdünstungen von Moder hin und her. Aber Linden sah, warum Sunder und Hollian ausgerechnet diese Stelle ausgesucht hatten, um einen Halt einzulegen. Eine Sandbank ragte vom Ufer ein Stück weit ins Flußbett hinaus, stellte ihnen einen Flecken Untergrund zur Verfügung, auf dem Covenant abseits vom brandigen Gras liegen konnte.
Der Steinhausener befestigte das Floß, zog Covenant auf den Sand und richtete ihn auf, um ihn in Lindens Arme zu schieben. Während sie dafür sorgte, daß er aufrecht blieb, obwohl sie selbst aus Schwäche wankte, sah sie zu, wie Sunder und Hollian über die Böschung davoneilten und nach Steinen zu suchen anfingen. Wenig später befanden sie sich außer Sicht. Mit den geringfügigen Überbleibseln ihrer Kraft erwartete Linden den Sonnenaufgang. Als sich die Sonne über den Horizont erhob, glich ihre Verfärbung den Wimpeln eines Seuchenschiffs. Linden hieß ihre Wärme willkommen – sie brauchte Erwärmung, verlangte nach Trockenheit –, doch die Korona der Sonne ließ sie in kraftlosem Abscheu aufstöhnen. Linden senkte Covenant in den Sand, setzte sich neben ihn, musterte ihn, als fürchtete sie sich davor, die Augen zu schließen. Sie wußte nicht, wie bald nun wieder Insekten umherzuschwärmen anfingen.
Als Sunder und Hollian zurückkamen, waren beide ziemlich aufgeregt. Die Spannung zwischen ihnen bestand unvermindert; aber sie hatten etwas entdeckt, das sie offenbar beide für sehr wichtig erachteten. Gemeinsam schleppten sie einen großen Strauch heran, den sie vorsichtig mitsamt den Wurzeln ausgegraben hatten, als hätten sie einen Schatz gehoben. »Voure« , rief Hollian, indem sie und Sunder den Strauch auf die Sandbank beförderten. Das Sonnenlicht glänzte auf Hollians heller Haut. »Was für ein Glück! Voure ist ungemein selten.« Die zwei legten den Strauch nahebei ab und fingen unverzüglich damit an, ihn seines Blattwerks zu entledigen.
»In der Tat außerordentlich selten«, bekräftigte Sunder in gedämpftem Ton. »Die Predigt nennt derlei Namen, aber noch nie zuvor habe ich Voure mit eigenen Augen erblickt.«
»Hat er Heilkraft?« erkundigte sich Linden mit matter Stimme. Statt einer Antwort gab die Sonnenseherin ihr eine Handvoll Blätter. Sie waren sukkulent wie Schwamm; farbloser, klarer Saft troff aus den abgerissenen Stengeln. Ihr scharfer Geruch ließ Linden zurückzucken.
»Reibe dir den Saft auf die Arme und ins Gesicht«, riet Hollian. » Voure ist ein wirksamer Schutz gegen Geziefer.« Linden starrte sie an, bis sie erkannte, daß die Sonnenseherin recht hatte. Dann kam sie der Empfehlung nach. Nachdem sie sich mit Saft eingerieben hatte, tat sie das gleiche bei Covenant. Sunder und Hollian schmierten sich ebenfalls ein. Als sie fertig waren, füllte Sunder die übriggebliebenen Blätter in seinen Beutel. »Nun werde ich tun«, sagte die Sonnenseherin plötzlich unaufgefordert, »was in meiner Macht steht, um Halbhands Genesung zu bewirken.«
»Sein Name ist Thomas Covenant«, berichtigte Linden sie in laschem Tonfall. Für sie war Halbhand ein Ausdruck, den die Sonnengefolgschaft benutzte; er mißfiel ihr. Hollian zwinkerte, als entginge ihr der Sinn des Unterschieds, äußerte sich jedoch nicht dazu.
»Bedarfs meiner Unterstützung?« fragte Sunder sie. Er zeigte sich wieder überaus reserviert. In irgendeiner Hinsicht, die Linden nicht zu durchschauen vermochte, fühlte er sich durch Hollian verärgert oder bedroht.
Die Antwort der Sonnenseherin fiel ähnlich kurzangebunden aus. »Ich glaube nicht.«
»Dann werde ich den Voure auf die Probe stellen.« Er stand auf. »Ich gehe unterdessen Aliantha suchen.« Mit brüsken Bewegungen begab er sich ans Ufer zurück und stapfte durchs faulige Gras davon.
Hollian vergeudete keine Zeit. Aus ihrem Kleid brachte sie einen kleinen eisernen Dolch und ihren Lianar -Stab zum Vorschein. Sie kniete sich neben Covenants rechte Schulter, legte den Lianar auf seine Brust und nahm den Dolch in die linke Hand. Die Sonne stand mittlerweile oberhalb des Horizonts, übte ihre verderbliche Wirkung aus. Der scharfe Duft des Voure bewährte sich jedoch anscheinend tatsächlich als eine Art von Schutz gegen ihre Folgen. Obwohl ringsum inzwischen große Insekten umherzusummen begonnen hatten, näherten sie sich nie der Sandbank. Linden hätte
Weitere Kostenlose Bücher