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Das verwundete Land - Covenant 04

Das verwundete Land - Covenant 04

Titel: Das verwundete Land - Covenant 04 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen R. Donaldson
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Ihre Bewegungen wirkten, als würde sie seine Ehrerbietigkeit anerkennen; und als sie langsam von ihm fortschwebte, folgte er. Ihr wundervoller Glanz erhob sein Herz. Der Gedanke an die Geister von Andelain verursachte ihm heftig empfundenen Kummer, für dessen Linderung er alles gegeben hätte. Einmal waren Dutzende von ihnen der Vernichtung anheimgefallen, weil ihm die Kraft gefehlt hatte, sie davor zu bewahren.
    Bald darauf stieß zu diesem ein anderer Geist Andelains, dann tauchten noch mehr auf, bis er beim Dahinschreiten allseitig umgeben war von ihrem Gaukeln. Der lichte Kreis und das leise, helle Klingen der Flammen geleiteten ihn, so daß er immerzu weiterziehen konnte, als kenne er den Weg, bis sich über den östlichen Anhöhen die dünne Sichel des Mondes zeigte. Auf diese Weise führten die Geister Andelains ihn zu einer hohen Erhebung, auf der keine Bäume standen, jedoch üppig Gras wuchs. Dort wich das Geklinge vernehmlicheren Klängen. Die Luft selbst verwandelte sich in eine Melodie, nach der die Sterne den Takt ihrer Gavotte ermaßen, und jeder Grashalm glich einer Note dieser Harmonie. In der Getragenheit der Weise schwang schwermütiger Ernst mit, und sie enthielt eine lange gelittene Trauer, die Covenant verstand. Die Geister Andelains blieben unterhalb des grasigen Erdhügels und bildeten um ihn einen weiten Kreis; ihn jedoch zog die Musik an und hinauf zur Hügelkuppe. Und dann durchtönten Worte von so nachdrücklicher Klarheit die Musik, daß sie sich ihm unvergeßlich einprägten. Sie waren voller Traurigkeit und gleichzeitig Entschlossenheit, und er hätte geweint, wäre ihr Bann weniger stark gewesen.
     
    »Andelain, da halt' ich aus und walt mit mind'rer Macht,
    Indes der Welt Verderben Holz und Heid verdirbt.
    Zweig und Saft sind Grimm und Grau, daß ich in Kummer schmacht,
    Und Blüten hinsinken ohne Gnade.
    Bang in meiner Kräfte roh Verschleiß,
    Richt ich des Gesetzes Schwert wider all den Erdenkreis.
     
    Andelain halt ich in Ehren in meiner sterblich Brust,
    Und treulich trotz ich des Verächters Trachten.
    Wunsch nach Traum, Ruh, Schlummer doch macht mich schuldbewußt,
    Und Bürden bringen meinen Mut ins Wanken.
    Das Sonnenübel spottet meiner besten Waffen,
    Ringsum und in mir die Schönheit muß erschlaffen.
     
    Andelain! In Not und Mangel harr' ich aus, nehm' hin,
    Daß des Verächters Wut reißt und zertritt.
    Jedes Stocken meines alten Herzens dem Bösen ist Gewinn,
    Und Entsetzen wirkt es ohne Unterlaß.
    Nicht bestärken kann ich meine Kräft',
    Obschon Gesicht der Greuel und Frevel um Gesicht mich äfft.
     
    O Andelain! Vergib! Dies Ringen weiht mich dem Unterliegen.
    Trag's nicht, dich vergehn zu sehn – derweil zu leben! –,
    Verdammt zur Bitternis, all des Grauen Schlächters Umtrieben.
    Solang ich's kann, lausch ich dem Ruf
    Von Grün und Baum. Auf ihr Geheiß
    Richt ich des Gesetzes Schwert wider all den Erdenkreis.«
     
    Allmählich vermochte Covenant jenseits der Musik und Worte den Sänger zu erkennen. Der Mann war hochgewachsen und stark, ganz in Zindeltaft von weißestem Weiß gehüllt. Seine Hand hielt als Stab einen knotigen Ast. Sein Haupt war gekrönt von Melodie. Klänge flossen in phosphoreszierenden Strömen von den Umrissen seiner Gestalt. Sein Lied bestand aus der Substanz der Macht selbst, und er umschloß damit in seiner Hand die ganze Nacht. Sein Gesicht wies weder Augen noch Augenhöhlen auf. Obwohl er sich im Verlauf der zehn Jahre beziehungsweise fünfunddreißig Jahrhunderte, seit Covenant ihn das letzte Mal sah, sehr beträchtlich verändert hatte, schien er nicht im geringsten gealtert zu sein.
    Eine Anwandlung, sich niederzuknien, befiel Covenant, doch er widerstand ihr. Er ahnte, daß es, sank er jetzt auf die Knie, kein Ende seiner Demütigung mehr geben würde. Statt dessen verharrte er ruhig im Angesicht der gewaltigen weißlichen Musik des Mannes und wartete.
    »Thomas Covenant«, summte der Mann einen Moment später in ernstem Ton, »kennst du mich?«
    Covenant erwiderte seinen augenlosen Blick. »Du bist Hile Troy.«
    »Nein.« Der Gesang war von absoluter Entschiedenheit. »Ich bin Caer-Caveral, Forsthüter Andelains. Im ganzen Lande bin ich der letzte meiner Art.«
    »Ja«, sagte Covenant, »ich entsinne mich. Beim Koloß am Wasserfall hast du mein Leben gerettet – als ich aus Morinmoss gekommen bin. Ich glaube, du hast mich auch in Morinmoss gerettet.«
    »Es gibt kein Morinmoss mehr.« Caer-Caverals Klänge und Töne

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