Das verwundete Land - Covenant 04
ihn Risiken einzugehen. Anderes dagegen schien keine Bezeichnung zu haben. Ihm war, als wäre er nahezu körperlich mit ihr verbunden, ohne daß er sich erklären konnte, wieso. Ihre Weigerung, ihn zu begleiten, bereitete ihm ernste Befürchtungen.
Sie entstanden zum Teil aus der Sorge, die Furcht seiner Begleiter vor Andelain könne sich als berechtigt herausstellen; die Vorstellung, entdecken zu müssen, daß Andelain hinter seiner Schönheit in Wirklichkeit verderbt war, flößte ihm Entsetzen ein. Aber er war schon zu lange Leprotiker, zu sehr vertraut mit verborgenen Leiden; solche Gefahren vermochten seine Entschlossenheit nur noch zu steigern. Ein Großteil seiner Beunruhigung beruhte auf Lindens Ablehnung, welchen Grund sie dafür auch haben mochte. Denn auf Linden konzentrierten sich viele seiner Hoffnungen, Zweifel zersetzten seinen früher im Land errungenen Sieg. Covenant war nicht dazu imstande, die zermürbende Überzeugung abzulegen, daß er sich, indem er sich zu Joans Gunst für sie eintauschte, dem Verächter verkauft, die Freiheit aufgegeben hatte, von der seine Widerstandskraft gegen die Bosheit abhing; er hatte gespürt, wie sich das Messer in seine Brust bohrte, und wußte, es bestand die Aussicht, daß er diesmal scheiterte. Die wilde Magie hat wider mich nicht länger Macht. Aus eigenem Entschluß wirst du das Weißgold in meine Hand ausliefern. Mit Linden aber verhielt es sich völlig anders. Sie war von jenem Alten ausgewählt worden, der einst auch zu ihm gesagt hatte: Bleib getreu. Während der Versetzung ins Land hatte Lord Foul sich in bezug auf Lindens Anwesenheit kein Wissen darum oder Interesse an ihr anmerken lassen. Und seitdem hatte sie sich zu so mancherlei befähigt gezeigt. Hinter ihrer Selbstdisziplin war sie schön. Wie hätte es ihm möglich sein sollen, auf eine solche Frau keine Hoffnungen zu setzen?
Nun jedoch, so kam es ihm vor, deutete ihre Ablehnung Andelains darauf hin, daß er seine Erwartungen auf Sand gebaut hatte, daß ihr verbissener Wille ein Ausdruck von Feigheit war, nicht des Muts. Er verstand so etwas. Er war Leprotiker, und das Leid in aller Welt lehrte Leprotiker Feigheit. Falls sich aus ihrem Entschluß irgend etwas für ihn ergab, dann erhöhte er das ihr entgegengebrachte Verständnis. Aber er war nun allein; und er wußte aus langjähriger, brutaler Erfahrung, wie wenig er allein ausrichten konnte. Nicht einmal der ganze Umfang seiner einstigen Macht gegen Lord Foul hätte ohne die Unterstützung und das Lachen des Riesen Salzherz Schaumfolger zu etwas geführt.
So war es erklärlich, daß er, während er Andelains Anhöhen erklomm, den Eindruck hatte, einem Verlust entgegenzuschreiten, einem Beraubtwerden um Kameradschaft, um Hoffnung, vielleicht sogar um seinen Mut, einem Rückschlag, von dem er sich möglicherweise nicht mehr erholen sollte. Auf der Höhe des Hügelkamms verharrte er, um den Gefährten zuzuwinken. Doch sie regten sich nicht; sie schauten nicht in seine Richtung. Das Ausbleiben einer Reaktion kränkte ihn, als hätten sie ihm absichtlich den Rücken zugekehrt.
Doch er war ein Mann, der seinem Kummer stets die Treue gehalten hatte; und das Land war für ihn ein Grund zum Gram geworden, der ihn niederdrückte und nicht gelindert werden konnte. Er suchte Andelain auf, weil er Gesundheit, Kraft und Wissen benötigte. Damit er sich an den Versuch machen konnte, all das wiederaufzubauen, was er verloren hatte.
Nach einiger Zeit jedoch änderte sich seine Stimmung. Denn dies war Andelain, in seiner Erinnerung so lieb und wert wie seine geschätztesten Freunde im Lande. In dieser Luft – ein Äther, so frisch wie ewiger Frühling – konnte er nicht einmal die mit einem Strahlenkranz zu vergleichende Aura der Sonne sehen; der Sonnenschein enthielt nichts als Überfluß an Herrlichkeit. Das Gras, das sich unter seinen Füßen weithin erstreckte, zeichnete sich durch kraftvollen Wuchs und beryllgrüne Farbe aus, war beträufelt mit dem diamantenhaften Schimmer von Tau. Nördlich und östlich von Covenant lag der Waldrand. Güldenblatt mit ausladenden Baumkronen reckte seine breiten, goldgelben Blätter in den schwachen Wind; stattliche Ulmen säumten das Blau des Himmels wie eine Prozession von Fürsten; Weiden mit der Zartgliedrigkeit von Filigranarbeiten schienen ihm zu winken, luden ihn in ihren Schatten ein, der jedes Herz zu heilen vermochte. Überall rings um die in bester Verfassung befindlichen Baumstämme blühte auf den grünen
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