Das verwundete Land - Covenant 04
zurückgebliebenen Narben, dann brachte er Covenant quer über die Adern des Handrückens einen Schnitt bei. Covenant zuckte; aber Hamako hielt die Hand fest, ließ nicht zu, daß er sie zurückzog. Covenants Beunruhigung schlug in Verblüffung um, als er sah, daß der Einschnitt nicht blutete. Er klaffte, aber kein Blut drang aus der Wunde. Dhraga trat näher. Sein gebrochener Arm war geschient, seine übrigen Verletzungen jedoch waren bereits im Heilen begriffen. Er hob die Hand seines unversehrten Arms. Vorsichtig schnitt Hamako seine ausgestreckte Handfläche ein. Sofort rann dunkles Blut über Dhragas Unterarm. Ohne Zögern reckte der Wegwahrer den Arm und legte seinen Schnitt direkt auf Covenants Schnittwunde. Warmes Blut sickerte auf Covenants Handrücken. In diesem Augenblick merkte er, was die anderen Wegwahrer taten. In der klaren Dämmerung der Wüstenei hatten sie einen leisen Gesang angestimmt. Gleichzeitig strömte Kraft durch Covenants Arm aufwärts, erreichte sein Herz wie ein Aufwallen von Erleichterung. Auf einmal fühlte er sich größer, muskulöser. Sein Blickfeld schien sich zu erweitern, mehr von der Umgebung zu erfassen. Er hätte seine Hand jetzt leicht aus Hamakos Griff befreien können. Doch dazu bestand keine Notwendigkeit.
Dhraga nahm seine Hand fort. Seine Wunde hatte zu bluten aufgehört. Covenants Schnittwunde saugte sein Blut auf. Dhraga wich zurück in den Hintergrund. Hamako gab den Dolch Durhisitar . »Bald wird's dich dünken«, sagte Hamako, während Durhisitar sich so in die Handfläche schnitt, wie zuvor Dhragas Hand geschnitten worden war, »soviel Kraft sei unerträglich, doch bitte ich dich, das Gefühl zu ertragen. Bewahre Ruhe, bis alle Wegwahrer am Geben teilgehabt haben. Wenn das Ritual vollzogen ist, wirst du genug Kraft für einen, vielleicht für zwei Tage besitzen.«
Durhisitar legte seinen Schnitt auf Covenants Wunde. Mehr Kraft strömte ihm zu. Plötzlich war ihm, als strotze er dermaßen vor Kraft, daß ihm regelrecht schwindelte, als sei er zu allem imstande. Sein Einschnitt saugte auch Durhisitars Blut auf. Als das Geschöpf zurücktrat, konnte Covenant kaum stillhalten, so sehr lechzte er nach der Spende des nächsten Wegwahrers. Erst nach der dritten Infusion kam ihm zu Bewußtsein, daß er hier mehr erhielt als bloße Kraft. Dhraga hatte er an seinen Verletzungen erkannt – doch wieso hatte er Durhisitar erkennen können? Diesen Wegwahrer hatte er nie genauer angeschaut. Trotzdem hatte er seinen Namen gewußt, so wie er jetzt den Namen des dritten Wegwahrers kannte – Dhubha –, und ebenso erging es ihm mit dem vierten Wegwahrer, Vraith . Der fünfte hieß Drhami , der sechste Ghohritsar . Ihm war aus lauter übermächtiger Kraftfülle nahezu schwummrig zumute. An Hamakos Faust zeichneten sich die Knöchel weiß ab; für Covenant jedoch war der Druck seiner Hand gerade noch mit der Berührung einer Feder vergleichbar. Covenant mußte energisch an sich halten, um sich nicht loszureißen und wie ein Wilder durch die Ruinen zu tanzen. Sein Gehör hatte eine solche Reichweite erlangt, daß er in unmittelbarer Nähe gesprochene Worte kaum noch zu unterscheiden vermochte. »... gedenke deiner Begleiter«, empfahl Hamako. »Verschwende diese Kraft nicht. Solange sie währt, laß dich weder durch Nacht noch Verhängnisse aufhalten.« Ghramin . Covenant fühlte sich so kolossal wie Gravin Threndor , so mächtig wie Feuerlöwen. Er hatte den Eindruck, zwischen seinen Armen Felsen zermalmen, Wütriche mit der bloßen Hand zerschmettern zu können. Der achte und letzte Wegwahrer kam an die Reihe: Dhurng . Hamako riß seine Hand zurück, als versenge ihn all diese Macht in Covenant. »Nun geh«, rief er. »Für Land und Gesetz brich auf, und möge keine Bosheit und Tücke wider dich bestehen!«
Covenant bog den Kopf rückwärts, stieß einen Schrei aus, der viele Kilometer weit zu hallen schien. »Linden!«
Er wandte sich nach Nordwesten, gab der feurigen Flut seiner geschenkten Kraft freie Bahn und stürmte los, rannte in die Richtung Schwelgensteins, als durchschösse ein waagerechter Blitz die Luft.
17
Blutkraft
Die braun umkränzte, glutstarke Sonne stieg höher, glühte dem Land alle zum Leben notwendige Feuchtigkeit aus. Hitze bedrückte es wie mit dem gesamten Gewicht des Himmels. Bloßes Erdreich verbuk zur Härte von Kalkstein. Lockere Erde verwandelte sich in Sand und Sand in Staub, bis Braun die Luft dicker machte, von allen Flächen des
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