Das verwundete Land - Covenant 04
schwächte sein Mißtrauen ab. Aber er war noch nicht zufrieden. »Eines noch«, sagte er in ruhigerem Ton. »Könnte Santonin auf dem Weg nach Schwelgenstein, während du hier hergeritten bist, an dir vorbeigekommen sein, ohne daß du's gemerkt hast?«
»Durchaus«, erwiderte Memla mit einem matten Anheben ihrer Schultern. »Das Land ist weit, und ich bin nur ein einzelnes Weib. Allein die Seher kennen Verbleiben und Zustand eines jeden Rukh . Obwohl wir sieben sind, die man dir entgegengesandt hat, kann ein anderer Gefolgsmann, zumal wenn er's will, unbemerkt an uns vorübergekommen sein ... Ich verlasse mich auf Din, der wacht und hütet, aber jeder Gefolgsmann kann Din gebieten zu schweigen, und ich erführe nichts. So's dir beliebt, Übles von Santonin zu glauben, kann ich dir nicht dreinreden.« Ihr Tonfall zeugte, als sie weitersprach, von Abschlaffung. »Halt's nach deinem Gutdünken. Ich bin nicht mehr jung, und Argwohn ermüdet mich. Ich bedarf der Ruhe.« Indem sie sich beugte wie eine alte Frau, ließ sie sich nah am Feuer nieder. »Wenn du klug bist, wirst auch du dir Rast gönnen. Uns trennen noch dreimal zwanzig Längen von Schwelgenstein, und ein Landläufer ist keine Sänfte.« Covenant schaute sich um, erwog seine Situation. Er fühlte sich zu genervt – und zu sehr in einem Dilemma –, um gelassen verschnaufen zu können. Aber er hatte die Absicht, bei Memla zu bleiben. Er brauchte die Schnelligkeit ihres Reittiers. Sie war entweder ehrlich oder nicht; wahrscheinlich würde er die Wahrheit aber erst herausfinden, wenn er sich auf Schwelgenstein befand. Nach einem Weilchen des Zögerns setzte er sich ebenfalls hin. In Gedanken vertieft, löste er den Schlauch mit dem Vitrim vom Gürtel und trank einen kleinen Schluck. »Verlangt's dich weder nach Speise noch nach Wasser?« wollte Memla wissen. »Ich habe beides.« Sie deutete auf die Säcke, die neben ihrem Bündel Brennholz lagen.
Covenant schüttelte den Kopf. »Hier ist noch genug für einen Tag drin.«
»Argwohn.« Memla griff in einen Sack, holte eine zusammengerollte Decke heraus und breitete sie auf dem Untergrund aus. Covenant den Rücken zugedreht, streckte sie sich nieder, zog die Decke wie zum Schutz gegen Covenants Mißtrauen um ihre Schultern und bettete sich zum Schlaf.
Covenant beobachtete sie durch die Flammen, die allmählich verflackerten. Er fror von einer Kälte, die nichts mit der Nachtluft zu schaffen hatte. Na-Mhoram-In Memla stellte zu viele seiner Annahmen in Frage. Es störte ihn wenig, daß sie Zweifel auf seine Abneigung gegen die Sonnengefolgschaft geworfen hatte; er würde schon sehen, was von der Sonnengefolgschaft zu halten war, sobald er mehr über das Sonnenübel wußte. Aber ihr Widerspruch hinsichtlich seiner Vorstellungen in bezug auf Linden und Santonin bereitete ihm Schweißausbrüche. War Santonin vielleicht so etwas wie ein aus der Art geschlagener Gefolgsmann? Handelte es sich bei diesen Merkwürdigkeiten um einen direkten Versuch Lord Fouls, sich in den Besitz des Rings zu bringen? Vergleichbar mit der Geiselnahme Joans? Der Mangel an jeglichen Antworten brachte ihn zum Aufstöhnen.
Falls Linden nicht auf Schwelgenstein war, benötigte er die Hilfe der Sonnengefolgschaft, um Santonin aufzuspüren. Und für diese Unterstützung würde er mit Kooperationsbereitschaft und einer gewissen Selbstpreisgabe zahlen müssen. Während er an seinem Bart zupfte, als könne er der Haut seines Gesichts Weisheit entziehen, starrte er Memlas Rücken an und forschte nach Einsichten. Aber er kam kaum über das Bewußtsein seiner Furcht hinaus, in der Tat gezwungen werden zu können, den Ring herauszugeben.
Nein. Nicht das! Bitte nicht! Er biß gegen das Frösteln seiner Befürchtungen die Zähne zusammen. Für einen Leprotiker war die Zukunft nichts als ein großes, dickes Fragezeichen, und ihm war immer wieder klargemacht worden, daß die Lösung für dieses Problem in planmäßiger Konzentration auf die Anforderungen der Gegenwart bestand. Aber er hatte nie erfahren, wie man sich soviel entschiedene Zielbewußtheit aneignete, nie gelernt, seine komplizierte innere Gegensätzlichkeit zu bändigen.
Zu guter Letzt nickte er ein. Er schlief unruhig. Bruchstückhafte Alpträume von Selbstmord verlängerten ihm die Nacht – kurze Fetzen um die Selbstaufgabe eines Leprotikers, die ihm Entsetzen einjagten, weil sie den Tatsachen seines wirklichen Schicksals so nahekamen, der Weise, wie er sich für Joan geopfert hatte.
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