Das verwundete Land - Covenant 04
Zorns in ihm wider, als gäbe eine fremde Stimme ihn der Lächerlichkeit preis. Instinktiv schloß er seine Halbhand um den Ehering. Aber er wich nicht zurück. »Was bei aller gottverfluchten Verdammnis hast du mit meinen Freunden angestellt?« wollte er in heiserem Knurren wissen.
»Die Wahrsagung wird Antwort geben.« Gibbon war allzu eifrig, geradezu begierig. »Willst du das Wagnis, die Wahrheit zu erfahren, auf dich nehmen?«
Brinn sah Covenant an. Seine Miene spiegelte Gleichgültigkeit wider; doch auf seiner Stirn glänzte Schweiß. Urplötzlich jedoch stemmte er sich gegen die Eisen, versuchte ihre Ketten mit hartnäckiger Aussichtslosigkeit zu sprengen. Memla hatte sich nicht vom Eingang entfernt. »Sei auf der Hut, Halbhand«, warnte sie Covenant mit eindringlichem Flüstern. »Hier lauert Bosheit.« Covenant spürte den Nachdruck ihrer Warnung überdeutlich. Auch Brinn versuchte ihn zu warnen. Einen Moment lang zögerte Covenant. Doch der Haruchai hatte ihn erkannt. Irgendwie war es Brinns Volk gelungen, in seiner Mitte die Geschichte des Großrates und der alten Kriege gegen die Verderbnis weiterzureichen – die wahre Geschichte, keine entstellte Version. Und unter seinen Toten in Andelain hatte Covenant auch Bannor getroffen. Unter Aufbietung aller Willenskraft trat er mitten in den Kreis und zu dem Katafalk. Flüchtig berührte er mit einer Hand Brinns Arm. Dann wandte er sich an den na-Mhoram. »Laß ihn gehen.«
Der na-Mhoram gab ihm zunächst keine Antwort. Statt dessen drehte er sich nach Memla um. »Na-Mhoram-In Memla«, sagte er, »du hast keinen Anteil an dieser Wahrsagung. Verlaß das Gewölbe.«
»Nein.« Memlas Tonfall brachte Entrüstung zum Ausdruck. »Du bist falsch zu ihm gewesen. Er weiß nicht, welche Entscheidung er da fällt.«
»Dennoch ...« – Gibbon begann ruhig, verlor jedoch sogleich die Geduld und schrie Memla durchdringend an – »wirst du dich hinausscheren! «
Für einen Augenblick hielt sie ihm stand. Der Konflikt schien in der Luft des Gewölbes regelrecht zu knistern. Gibbon hob seinen Stab, als wolle er die Frau damit niederstrecken. Schließlich erwies sich die gemeinschaftliche Abweisung der Versammlung als zu stark für sie. »Ich habe der Halbhand auf die Sicherheit ihrer Begleiter mein Wort gegeben«, sagte sie in tiefer Verbitterung. »Es ist eine große Schmach, daß der na-Mhoram dem Wort einer na-Mhoram-In so geringen Wert beimißt.« Sie machte auf dem Absatz kehrt und entfernte sich quer durchs Gewölbe.
Gibbon entzog ihr seine Aufmerksamkeit, als hätte sie zu existieren aufgehört. »Ohne Blut keine Macht«, sagte er zu Covenant. Allem Anschein nach war er nunmehr nicht länger dazu imstande, die Heftigkeit seiner inneren Erregung zu mäßigen. »Und für eine Wahrsagung brauchen wir Macht. Deshalb ist dieser Haruchai hier. Wir werden sein Blut vergießen, um deine Fragen zu beantworten.«
»Nein«, schnauzte Covenant. »Ihr habt schon genug von ihnen getötet.«
»Wir müssen Blut haben«, entgegnete der na-Mhoram.
»Dann bring einen deiner verdammten Gefolgsleute um!« Covenant war weiß vor Wut. »Es ist mir scheißegal, was du anstellst, aber laß den Haruchai in Ruhe!«
»Wie du wünschst.« Gibbons Tonfall klang nach Triumph.
»Ur-Lord!« schrie Brinn.
Covenant mißverstand Brinns Warnung. Er sprang zurück, fort vom Katafalk – und geriet direkt in die Fäuste der hinter ihm befindlichen Gefolgsleute. Sie packten ihn, umklammerten seine Arme. Schneller als er zur Gegenwehr in der Lage war, blitzten zwei Messer auf. Ihre Klingen zerschnitten ihm beide Handgelenke. Zwei rote Striche schlitzten sein Blickfeld, seine Seele. Blut spritzte auf den Boden. Die Schnitte waren tief, tief genug, um ihn langsam vom Leben zum Tode zu befördern. Covenant starrte sie entsetzt an und sank auf die Knie. Pulsschläge trieben Rinnsale aus Blut über seine Unterarme bis zu den Ellbogen; das Blut troff ihm von den Ellen, breitete seine Leidenschaft auf dem steinernen Boden aus. Ringsherum stimmten die Gefolgsleute einen Gesang an. Aus ihren Rukh lohte scharlachrote Glut; das Zinnoberrot ihrer Energie durchwallte die Luft. Covenant kniete hilflos im Kreis der Gefolgsleute. Der Schmerz in seinem Nacken lähmte ihn. Eine Lanze des äußersten Entsetzens war durch seine Wirbelsäule gebohrt worden und nagelte ihn dort fest, wo er kauerte. Der Aufschrei seines Blutes blieb stumm. Gibbons schwarzgekleidete Gestalt näherte sich, tauchte in merklicher
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