Das verwundete Land - Covenant 04
würde.« Er vollführte eine Geste der Beschwichtigung. »Ich sinne nicht auf dein Verderben. Ich suche nur nach Wegen, auf denen wir uns deiner Unterstützung versichern können. Ich werde die Sonnengefolgschaft auf eine Wahrsagung vorbereiten. Sie wird dir die Wahrheit enthüllen, nach der du forschst. Lügen wird sie entlarven, Herzen entblößen.« Er ging zur Tür. »Ruhe dich nun aus, Halbhand. Iß, verschaffe dir neue Kräfte. Du magst gehen, wohin du willst. Ich ersuche dich lediglich darum, die Geheime Kammer und den Kerker zu meiden, bis jene Dinge, die zwischen uns stehen, aufgeklärt und beseitigt sind. Ich werde nach dir schicken, sobald die Wahrsagung stattfinden kann.« Ohne auf eine Antwort zu warten, verließ er Covenants Gemächer.
Wahrsagung , schnob Covenant stumm. Seine innere Stimme klang wie ein Krächzen. Bei Gott, ja! Er mißachtete den Schmerz in seinem Nacken, warf die Decken zur Seite und suchte das Nebenzimmer auf, um nachzusehen, ob etwas zu essen da sei. Auf dem Tisch stand ein neues Tablett mit frischen Speisen. Balkontür und Fenster waren wider den Regen geschlossen worden, und die Luft roch nach Qualm. Mittlerweile auf sonderbare Weise fest davon überzeugt, daß die Sonnengefolgschaft es nicht darauf abgesehen hatte, ihn zu vergiften oder ihm irgendwelche Drogen zu verabreichen, machte er sich über das Essen her, schlang es hinunter, um seinen ausgehungerten Grimm zu nähren. Die Flasche mit dem Metheglin dagegen ließ er stehen; er wollte seine Wachheit nicht herabsetzen, seine Reflexe nicht verlangsamen. Er ahnte, daß Gibbons Wahrsagung zu einer Krise führen mußte, und er hatte vor, sie zu überleben.
Er verspürte den starken Drang, seine Räume zu verlassen und durch Schwelgenstein zu streifen, seine Anspannung und Unentschiedenheit an der riesigen Festungsstadt zu messen. Aber er tat es nicht. Er unterwarf sich seiner Leprakranken-Disziplin, setzte sich in einen Lehnstuhl, streckte die Beine nebeneinander der Länge nach aus, stützte den empfindlichen Nacken auf die Rücklehne und zwang sich zu völliger Ruhe. Muskel um Muskel lockerte er den Körper, entkrampfte die Stirn, mäßigte seinen Pulsschlag, ganz darauf aus, die Konzentration und innere Gefaßtheit zu erlangen, die er brauchte, um für alles bereit zu sein.
Gesichter zogen an ihm vorüber: Linden, Sunder, Brinn. Brinns Gesicht war so deutlich wie Bannors. Lindens Gesichtszüge sah er verzerrt, nicht durch Strenge oder aus Absicht, sondern von Furcht. Er verschloß ihnen sein Bewußtsein, um sich nicht durch Leidenschaft blenden zu lassen. Statt dessen dachte er an die Geheimtür, die Hohl entdeckt hatte. Er konnte in seinem Innern die Lösung des Rätsels erahnen. Aber noch hinderten ihn vorgefaßte Vorstellungen daran, sie klar zu erkennen. Doch schon ihre annähernde Greifbarkeit trieb ihm Schweiß der höchsten Bestürzung in die Brauen. Er war noch nicht auf die Lügenhaftigkeit vorbereitet, die sich darin präsentierte. Lügenhaftigkeit. Er tastete nach diesem Begriff, versuchte seine Implikationen zu ergründen. Aber die Hände seines Geistes waren Halbhände und unzureichend.
Ein Pochen an die Tür schreckte ihn hoch. Ein Stich fuhr ihm durch den Nacken; seine Stirn versprengte Schweißtröpfchen auf den Boden. Noch ehe er den Lehnstuhl verlassen konnte, flog die Tür auf. Memla platzte herein. Ein Gewirr von graugesträhntem Haar umwogte ihr bleiches Gesicht. Sie hielt den Rukh , als wolle sie damit auf Covenant losgehen. Aber das Eisen war nicht entflammt. Ihre Augen waren voller zerbrochener Redlichkeit. »Falschheit!« keuchte sie. »Man hat mich betrogen!« Covenant schlurfte zum Tisch und starrte sie darüber hinweg an. Für einen Moment suchte Memla nach Worten, vermochte allem Anschein nach das ganze Ausmaß ihrer Empörung nicht so rasch in bloße Worte zu fassen. »Sie sind hier!« brach es dann aus ihr hervor. »Santonin ... deine Gefährten. Sie sind alle hier!« Covenant klammerte sich an die Tischkante, um nicht zu fallen. »Zwei Steinhausener und eine Fremde. Im Kerker.« Aus leidenschaftlicher Erregung atmete sie unregelmäßig und angestrengt. »Ich habe Santonin gesehen, wo er nicht erwartete, gesehen zu werden. Der na-Mhoram hat mir Unwahrheiten ins Angesicht gesagt! Ich habe Santonin zur Rede gestellt. Er hat mir die Wahrheit enthüllt ... den Grund, warum man mich und andere dir entgegenschickte. Er sprach mit einem Lächeln des Hohns! Es geschah nicht, um dich herzugeleiten.
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