Das verwundete Land - Covenant 04
Stadt dem Osten und der Hoffnung zugekehrt stand. An der Landseite besaß Herzeleid nur drei Eingänge, drei Tunnel, die als Stollen durch den Fels führten, nun für immer in granitenem Gram über den Schicksalsschlag klafften, der die Stadt ihrer Bewohner und ihres Sinns beraubt hatte.
»Thomas Covenant.« Die Erste war neben Covenant getreten, in ihrem Rücken Pechnase und Seeträumer. »Riesenfreund.« Ihre Stimme klang, als hielte sie ein Schwert, ohne zu drohen, jedoch bereit zum Kampf. »Du hast von Riesen und Jheherrin gesprochen, und in unserer Hast haben wir nicht nach jenen Dingen gefragt, die wir nicht verstanden. Und geduldig haben wir jener Geschichte geharrt, die zu erzählen du uns versprochen hast. Doch nun müssen wir dir Fragen stellen. Diese Stadt ist unzweifelhaft von Riesen geschaffen worden – eindeutig erkennen wir die Handwerkskunst unseres Volkes. Derlei Künste sind für uns das Blut und Bein unserer Heimat. Darin ist kein Irrtum möglich.« Als sie weitersprach, geschah es in härterem Tonfall. »Aber diese Stadt, die du Herzeleid genannt hast, ist offenbar seit vielen Jahrhunderten ausgestorben. Und auch die Jheherrin , von denen du Rede geführt hast, gehören zu einer Geschichte, die etliche Jahrhunderte alt ist. Doch du bist ein Mensch und deshalb kurzlebiger als die Angehörigen anderer Völker der Erde. Wie ist es erklärlich, daß du Riesen gekannt hast?«
Covenant verzog das Gesicht; in seinem Herzen war kein Platz für derartige Fragen. »Woher ich komme«, erwiderte er unterdrückt, »dort läuft die Zeit anders ab. Hier bin ich noch nie gewesen. Aber ich habe Salzherz Schaumfolger gekannt. Vielleicht besser als mich selbst. Vor dreieinhalbtausend Jahren.« Urplötzlicher Schmerz in seiner Brust ließ ihn laut aufkeuchen. Dreiundeinhalb ...! Es war zuviel; eine so breite Kluft mochte ohne Boden sein. Wie sollte er hoffen können, es wäre möglich, nach so vielen Jahren noch Wiedergutmachung zu leisten? Er krampfte sich zusammen, um sein Keuchen zu unterbinden, und strebte den Hang hinunter, nahm die Richtung zum mittleren Tunnel, dem landseitigen Haupteingang von Coercri .
Die Wolken waren nach Westen entschwunden und hatten die Sonne wieder enthüllt. Sie schien beinahe direkt in den steinernen Gang, wies Covenant den Weg in den Wall der Klippe. Er eilte in den Stollen, als wolle er sich am anderen Ende, sobald er es erreichte, in einen Abgrund stürzen. Brinn und Hergrom jedoch hielten sich an seinen Seiten; sie wußten, was er wußte. Seine übrigen Begleiter folgten stumm, blieben still, als brächte er sie auf einen mit altem Blut befleckten Friedhof. Sie wagten sich nur mit einer gewissen Feierlichkeit nach Herzeleid hinein.
An seinem Ende ging der Stollen in einen aus dem östlichsten Bereich der Klippe gehauenen Erker über. Coercri lag in schwungvollem Halbrund, das sich nach Norden und Süden erstreckte, vor den Gefährten, als sähe man es wie ein Schiff vom stumpfen Bug aus. Von diesem Standort herab konnte Covenant in beiden Richtungen ganz Herzeleid überblicken. Das Innere der Stadt war abgestuft angelegt, über Erker um Erker gelangte man abwärts auf stets neue Terrassen und verschiedene Ebenen, bis hinab zum Meer; die einzelnen Stufen ragten vor oder wichen zurück, waren auf diese Weise den Umrissen des Felsgesteins angepaßt worden. Infolgedessen erweckte die Vorderseite der Stadt einen knotigen Eindruck, wirkte wie knorrige, dem Wetter und dem zersetzenden Anbranden der See entgegengereckte Fäuste. Die salzigen Ablagerungen der Jahrhunderte verstärkten diesen Eindruck zusätzlich. Die Schutzwälle der unteren Erker waren mit grauweißen Klumpen überzogen, so fest wie Kalktuff; und sogar die höchstgelegenen Ebenen waren mit Salz gesprenkelt, als besäßen sie Altersflecken, angesammelten Gries des Grams. Hinter den Brustwehren der Erker lagen, Stockwerk um Stockwerk, die Zugänge in die Wohnungen und Versammlungshallen, Werkstätten und Küchen, die Säle, bestimmt zum Singen von Liedern, Geschichtenerzählen und Veranstalten von Riesen-Palavern. Und zu Füßen der Klippe, vom flachen Felssockel aus, der die Stadt seewärts säumte, ragten mehrere wuchtige steinerne Molen hinaus ins Meer. Die Mehrzahl war längst zertrümmert; ungefähr in der Mitte jedoch hatten zwei Hafendämme und die dazwischen befindliche Anlegestelle überdauert. Sturzwellen wogten wie eine Gefolgschaft des Sturms gegen die Anlegestelle, als wären sie in Erbitterung und
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