Das verwundete Land - Covenant 04
Gleichgewichts in ihm. Sie nicht? Man merkt's in seinem Gesicht, seiner Stimme, in allem. Ich hab's sofort bemerkt. Schon als er uns durch den Hohlweg entgegengekommen ist.«
Grimmig schüttelte Covenant seine Mattigkeit ab. »Und was wollen Sie damit sagen? Daß wir ihm nicht vertrauen können? Nicht glauben?«
»Kann sein.« Nun war es Linden, die seinen Blick nicht zu erwidern vermochte. Sie betrachtete ihre auf den Knien gefalteten Hände. »Ich bin mir nicht sicher. Ich weiß bloß, daß er geisteskrank ist. Er war zu lange allein. Und er glaubt alles, was er daherredet.«
»Da ist er nicht der einzige«, sagte Covenant leise. Bedächtig streckte er sich aus, um es sich bequemer zu machen. Er war bei weitem zu müde, um sich wegen Nassics geistiger Verfassung zu sorgen. Doch er schuldete Linden wenigstens noch eine Antwort. »Nein«, sagte er, bevor er sich völlig seiner Ermattung auslieferte. »Ich kann's nicht.« Während die Müdigkeit ihn schlagartig vollends überwältigte, bemerkte er noch, daß Linden aufstand und neben seiner erschlafften Gestalt hin- und herzuschreiten begann.
Stille weckte Covenant. Der Regen hatte aufgehört. Einen Moment lang regte sich Covenant nicht, genoß das Ende des Unwetters. Der Schlaf hatte ihm gutgetan; er fühlte sich kräftiger, fähiger.
Als er den Kopf hob, sah er Linden unterm Eingang stehen, dem Tal und der klaren, kühlen Nacht zugewandt. Ihre Schultern waren verkrampft; innere Anspannung kennzeichnete die Haltung, in der sie am Gemäuer lehnte. Sie drehte sich um, als sich Covenant aufrappelte. Während er schlief, mußte sie neue Scheite ins Kaminfeuer geschoben haben. Es war hell im Haus; er konnte ihr Gesicht deutlich erkennen. An ihren Augenwinkeln sah er Fältchen, als habe sie längere Zeit damit zugebracht, verkniffen irgend etwas anzustarren, das ihr Mißbehagen verursachte.
»Der Regen hat aufgehört, als der Abend angebrochen ist.« Mit einer Kopfbewegung verwies sie auf das veränderte Wetter außerhalb des Häuschens. »In dieser Beziehung hat er recht behalten.«
Ihre unverkennbare Besorgnis beunruhigte Covenant. »Worüber haben Sie nachgedacht?« Er bemühte sich, als er die Frage stellte, um einen beiläufigen Tonfall.
Linden zuckte mit den Schultern. »Nichts Neues. ›Finden Sie sich damit ab. Blicken Sie nach vorn. Stellen Sie fest, was sich abspielt.‹« Ihr Blick war nach innen gekehrt, galt irgendwelchen Erinnerungen. »Ich lebe schon seit Jahren so. Das ist der einzige Weg, wie sich herausfinden läßt, wieviel das kostet, dem man zu entkommen versucht.«
Covenant betrachtete sie, forschte nach irgendeinem Anhaltspunkt der Bedeutung dessen, was sie gesagt hatte. »Wissen Sie was?« meinte er bedächtig. »Sie haben mir bis jetzt wenig von Ihnen erzählt.«
Linden versteifte sich, nahm ein Gebaren abweisender Strenge an, als hebe sie zu ihrem Schutz einen Schild. »Nassic ist noch nicht zurück.« Ihr Tonfall überging seine Äußerung vollkommen.
Für einen Moment dachte Covenant über ihre Weigerung nach. Hatte sie soviel vergangenes Weh zu verbergen? Wehrte sie sich gegen ihn oder sich selbst? Aber da drang ihm das Schwerwiegende ihrer Bemerkung ins Bewußtsein. »Nicht?« Auch ein alter Mann hätte in der inzwischen vergangenen Zeit die Strecke zum Steinhausen und zurück zweimal schaffen müssen.
»Ich habe ihn nicht gesehen.«
»Verdammnis!« Covenants Kehle war plötzlich trocken. »Zur Hölle, was ist denn bloß mit ihm passiert?«
»Woher soll ich das wissen?« Lindens Unmut verriet die Angespanntheit ihrer Nerven. »Haben Sie vergessen, daß ich es bin, die noch nie hier gewesen ist?«
Fast hätte Covenant sie angefahren; aber er beherrschte sich voller Grimm. »So habe ich's nicht gemeint. Vielleicht ist er von der Klippe gestürzt. Oder vielleicht sind die Leute in Steinhausen Mithil noch gefährlichere Typen, als er gedacht hat. Kann sein, er hat gar keinen Sohn.«
Er konnte Linden anmerken, wie sie ihre Gereiztheit unterdrückte, wohl aus dem Wunsch, frei von allem Druck zu sein.
»Was sollen wir jetzt machen?«
»Welche Wahl bleibt uns? Wir müssen eben allein hinunter.« Ernst zwang er sich dazu, Lindens Zweifel an Nassic anzuerkennen. »Für mich ist's schwer, auf einmal zu glauben, daß wir den Menschen dort unten nicht trauen können. Sie waren meine Freunde, als ich's gar nicht verdient hatte, irgendwelche Freunde zu haben.«
Linden schaute ihn an. »Das war vor dreitausend Jahren.«
Ja , bekannte er
Weitere Kostenlose Bücher