Das verwundete Land - Covenant 04
mißmutig. Er machte auf der Stelle kehrt und entfernte sich, als hätte er soeben etwas getan, das – wie er sein Leben lang gewußt hatte – nicht zu rechtfertigen war. Er legte ein zügiges Marschtempo vor. Covenant und Linden mußten sich beeilen, um mit ihm Schritt zu halten.
Das Mondlicht verlieh der Nacht eine ziselierte Patina von altsilberner Färbung, als bestünde die Dunkelheit selbst aus einer sehr fein gefertigten Handwerksarbeit. Über den Kämmen der Berge, die an beiden Seiten des Tals zerklüftet zum unerreichbaren Firmament aufragten, blinkten Sterne wie Beispiele von Vollkommenheit. Solange er sich noch genügend bei Kräften fühlte, nahm Covenant die Gelegenheit wahr und freute sich an diesem sichtbaren Rest von Schönheit des Landes. Doch während der Mond sich seinem Untergehen zuneigte und die Bergkette zur Linken in der Ferne zurückzubleiben begann, ließ sein Schwung merklich nach. Er war zu schwach. Sein Herz schlug gequält mühsam, als könne es nicht länger mithalten; seine Muskeln schienen zu Sand geworden zu sein. Und dabei war Flucht nicht genug; er hatte noch etwas zu erledigen. Mit einem heiseren Krächzen veranlaßte er Sunder zum Stehenbleiben. Dann sackte er auf den Untergrund, streckte sich rücklings aus und rang um Atem.
Linden verharrte nahebei, zwar in ihren Kräften beeinträchtigt, aber noch imstande weiterzumarschieren. Sunder stand aufrecht und ungeduldig herum; er war ebenso zäh wie stark, durch lebenslanges schwieriges Überleben gegen Ermüdung gefeit. Sogar nach dem wenigen, das Covenant im Steinhausen Mithil gesehen und gehört hatte, besaß er darüber Klarheit, daß das Dasein dort schwer war und seinen Preis forderte. Wie sonst könnten diese Dörfler dazu fähig sein, die eigenen Eltern als Blutopfer darzubringen, dazu bereit, Fremde und Unschuldige zum Tode zu verurteilen? Covenant empfand es als untragbar, daß das so reich und freigebig gewesene Land, das er geliebt hatte, derartig heruntergekommen sein sollte.
»Hier sind wir sicher genug, bis die Sonne aufgeht«, sagte Sunder unfreundlich, während Covenant noch seelische Kraft sammelte. »Auf jeden Fall, solange unsere Abwesenheit im Steinhausen unbemerkt bleibt. Doch es wird zu nichts führen, hier zu verweilen und nur auf Glück oder Unheil zu warten. Der Gefolgsmann, der sich gegenwärtig nach Steinhausen Mithil unterwegs befinden dürfte, könnte uns zur Gefahr werden. Wenn er von unserer Flucht erfährt, wird er uns sicherlich verfolgen. Du hast mich darum ersucht, dein Führer zu sein, Thomas Covenant. Wohin wünschst du zu gehen?«
Unter Stöhnen setzte sich Covenant auf. »Eins nach dem anderen.« Inzwischen begriff er soviel, daß er genau wußte, Sunder würde die umfassendere Antwort auf seine Frage mißfallen. Also sprach er nur seine unmittelbare Absicht aus. »Als erstes will ich Marid finden.«
»Marid?« Der Steinmeister starrte ihn offenen Mundes an. »Habe ich dir nicht von dem Urteil erzählt, welches das Steinhausen über ihn gefällt hat? Durch die Predigt und alten Brauch wird er auf Gnade oder Ungnade dem Sonnenübel ausgeliefert. Und das ist bereits geschehen.«
»Ich weiß«, entgegnete Covenant leise. »Du hast's mir erzählt. Und ich habe dir was anderes gesagt. Daß er unschuldig ist.«
»Schuldig oder unschuldig«, erwiderte Sunder, »das bedeutet nichts. Es ist bereits getan. Die Männer und Weiber, denen die Aufgabe zufiel, die Bestrafung zu vollziehen, waren schon zurückgekehrt, bevor ich euch aufsuchte, um mit euch zu reden.«
Die Müdigkeit zersetzte Covenants Selbstbeherrschung. Nur mit knapper Not vermochte er einen Ausbruch seiner alten Wut zu verhindern. »Was haben sie mit ihm gemacht?«
Voller Überdruß warf Sunder einen Blick hinauf zu den Sternen. »Sie haben ihn in die Ebenen gebracht und dort gebunden zurückgelassen, damit er seines Schicksals harre.«
»Weißt du, wo sie ihn zurückgelassen haben?«
»Ungefähr. Vor dem Aufbruch besprachen sie ihr Vorgehen. Doch ich war nicht mit ihnen fort und kenne die genaue Stelle nicht.«
»Es wird schon genügen.« Covenant fühlte sich so schwächlich, als ob er aus nichts außer Wasser bestünde; aber er raffte sich auf und trat vor den Steinmeister. »Bring uns hin.«
»Uns bleibt keine Zeit!« Sunders Gesicht glich einem Knäuel aus Finsternis. »Die Entfernung ist zu groß. Wir müssen Schutz suchen, oder wir werden, sobald die Sonne aufgeht, gleich ihm dem Sonnenübel zum Opfer.«
»Aber Marid
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