Das verwundete Land - Covenant 04
sich erschöpft; doch er durfte sich jetzt keine Ruhe gönnen. Er hatte seine Macht fahren gelassen, um dem Steinmeister die Gelegenheit zu geben, sich zu weigern. Nun mußte er die Konsequenz tragen und sich diesem Risiko stellen. Roh quetschte er Worte heraus. »Ich will von hier weg. Ehe irgend etwas anderes passiert. Bevor der Wütrich es mit Schlimmerem versucht. Aber wir benötigen Hilfe. Einen Führer. Jemand, der sich mit dem Sonnenübel auskennt. Ich will, daß du uns begleitest!«
Sunder antwortete aus der Dunkelheit; seine Stimme hörte sich an, als neige er zum Nachgeben. »Ich bin der Steinmeister vom Steinhausen Mithil. Seine Menschen vertrauen auf mich. Wie könnte ich meinen Heimatort verraten, um euch Beistand zu leisten?«
Der Steinmeister verstummte und schwieg. Covenant drückte krampfhaft die Arme an die Brust; er versagte es sich, um Sunders Unterstützung zu bitten. Doch sein Herz hämmerte immer wieder: Bitte. Ich brauche dich!
Unerwartet ergriff Linden im Tonfall eindringlicher Leidenschaft das Wort. »Es dürfte nicht sein, daß du deine eigene Mutter umbringen sollst.«
Sunder tat einen zittrigen Atemzug. »Ich habe nicht den Wunsch, ihr Blut zu vergießen. Und auch nicht das eure. Mögen meine Steinhausener mir verzeihen.«
In Covenants Kopf begann aus lauter Erleichterung alles zu verschwimmen. Er vernahm noch die eigene Stimme. »Dann laßt uns aufbrechen!«
7
Marid
Für einen Moment herrschte Schweigen in dem kleinen Raum. Sunder blieb reglos, als könne er seine widerwilligen Knochen nicht dazu bringen, gemäß seiner Entscheidung zu handeln. »Thomas Covenant«, sagte er leise und schwerfällig aus der Finsternis, »hintergeh mich nicht!« Bevor Covenant sich eine Antwort einfallen lassen konnte, drehte sich der Steinmeister um und hob den Türvorhang beiseite. Durch den Zugang sah Covenant Mondschein das freie Zentrum des Steinhausens erhellen.
»Wie steht's mit Wachen?« fragte er ruhig nach.
»Hier sind keine.« Sunders Stimme sprach in rüdem Flüstern. »Die Aufsicht über das Leben jener, deren Blut vergossen werden soll, obliegt dem Steinmeister. Es ist angebracht, daß jener, der die Opferung zu vollziehen hat, in der Nacht zuvor mit jenen Wache hält, deren Blut fließen soll. Das Steinhausen schläft.«
Covenant sperrte sich gegen seine Mattigkeit und den Ton des Steinmeisters. »Und außerhalb der Ortschaft?«
»Die draußen aufgestellten Wachen müssen wir umgehen.« Grimmig verließ Sunder das Haus.
Linden schickte sich an, dem Steinhausener zu folgen. Doch an Covenants Seite verharrte sie. »Trauen Sie ihm?« fragte sie gedämpft. »Er bereut seinen Entschluß schon.«
»Ich weiß«, gab Covenant zur Antwort. Insgeheim verwünschte er die Feinheit von Lindens Gehör. »Ich würde niemandem vertrauen, der eine derartig schwerwiegende Entscheidung nicht bereut.«
Linden zögerte einen Augenblick lang. »Ich bezweifle«, entgegnete sie dann bitter, »daß Reumütigkeit eine solche Tugend ist.« Damit trat sie hinaus in die Nacht.
Covenant stand reglos da, blinzelte matt in die Dunkelheit. Er fühlte sich schwach vor Hunger; bereits der bloße Gedanke an das, was bevorstand, schien ihm die letzten verbliebenen Reste seiner Kräfte rauben zu müssen. Lindens Strenge verletzte ihn. Wo hatte sie gelernt, sich schon die simple Menschlichkeit des Reuegefühls zu versagen? Doch jetzt war nicht die Zeit für solche Angelegenheiten. Die Notwendigkeit der Flucht besaß absoluten Vorrang. Mit steifen Bewegungen folgte er den beiden ins Freie.
Nach der Schwärze, die er hinter sich ließ, kam es ihm im Mondschein beinahe taghell vor. Sunder und Linden hoben sich leicht erkennbar und deutlich von den fahlen Außenmauern der Häuser ab; sie warteten auf ihn. Sobald er zu ihnen stieß, wandte sich der Steinmeister unverzüglich nordwärts, begann in barfüßiger Lautlosigkeit durch die Bauten der Ortschaft vorauszugehen. Linden blieb bei ihm wie ein Schatten, und Covenant hielt sich im Abstand einer Armlänge hinter ihrem Rücken. Als sie sich den am äußeren Rande des Dorfes gelegenen Gebäuden näherten, machte Sunder halt. Er gab Covenant und Linden ein Zeichen, daß sie bleiben sollten, wo sie waren; Covenant nickte, und Sunder schlich zurück ins Steinhausen.
Covenant bemühte sich, die Lautstärke seiner Atemzüge zu mäßigen. Neben ihm stand Linden mit geballten Fäusten. Stumm bewegten sich ihre Lippen, als argumentierte sie gegen ihre Furcht. Die
Weitere Kostenlose Bücher