Das verwundete Land - Covenant 04
Nacht war eisig kühl; Covenants Beunruhigung erzeugte bis hinab zu seinem unteren Rücken einen Strang von Gefröstel. Kurze Zeit später kam Sunder wieder, trug einen dunklen, länglichen Gegenstand mit sich, etwa so groß wie eine Papayafrucht. »Mirk« , flüsterte er. Dann setzte er ohne Umschweife den Weg zum Dorf hinaus fort. Die drei verließen Steinhausen Mithil mit der Geisterhaftigkeit von Gespenstern.
Von den letzten Häusern aus schlug Sunder die Richtung zur Talsohle ein. Er strebte halb geduckt dahin, um eine möglichst niedrige Silhouette zu bieten. Linden tat es ihm nach; sie huschte durchs Mondlicht, als sei sie von Geburt an mit sicheren Füßen begnadet. Covenants Zehen jedoch waren gefühllos, seine Beine ermüdet. Er stolperte achtlos den unebenen Untergrund entlang.
Plötzlich klammerte Sunder seine Hände an einen Felsen und schwang sich in die langgestreckte Vertiefung des Flußbetts hinab. Linden sprang hinterdrein. Sand milderte ihren Aufprall. Eilig gesellte sie sich zu Sunder in den Schatten unterhalb des Ufers.
Covenant zögerte am Rande der Böschung. Als er hinunterschaute, drohte ihm aufgrund eines Schwindelgefühls gleich schlecht zu werden. Er wandte das Gesicht ab. Die ausgedörrte Länge des Flußlaufs schlängelte sich links von ihm wie eine Serpentine aus den Bergen herab und zu seiner Rechten hinaus in die Südlandebenen. In der vergangenen Nacht war der Mithil zum Überfließen voll gewesen. »Komm!« rief Sunder unterdrückt herauf. »Sonst wird man dich erspähen.«
Covenant sprang. Er kam unglücklich auf und plumpste mit ausgebreiteten Gliedmaßen in den Sand. In der nächsten Sekunde war Sunder bei ihm, drängte ihn zum Aufstehen. Covenant achtete nicht auf den Steinmeister. Er grub seine Hände in den Sand, wühlte nach Feuchtigkeit. Doch selbst unter der Oberfläche war der Sand vollkommen trocken. Seine Hände wirbelten Staub auf, und Covenant mußte würgen, um einen Hustenanfall zu ersticken. Unmöglich! Das Flußbett war so ausgemergelt wie eine Wüste. War das Gesetz des Landes unwirksam geworden?
»Covenant!« fauchte Linden. Sunder zerrte an Covenants Schultern. Während er eine Anwandlung blinder Wut meisterte, stellte Covenant sich mühsam auf die Beine und torkelte in den Schatten unterm Flußufer. Ein Moment verstrich, bis er sich wieder genug gefaßt hatte, um seinen Kummer Kummer sein zu lassen und sich wieder für das Geschehen ringsum zu interessieren.
Sunder deutete flußabwärts auf den schwarzen Bogen einer Brücke, die etwa einhundert Meter entfernt das Flußbett überspannte. »Eine Wache«, sagte er leise. »Die anderen Wachen sind für uns keine Gefahr mehr. An diesem Mann jedoch gelangen wir nicht ungesehen vorüber.«
»Was sollen wir tun?« flüsterte Linden.
Der Steinmeister gebot mit einem Wink Schweigen. Die Mirk unterm Arm, folgte er vorsichtig dem Lauf des Flußbetts, blieb im Sichtschutz des Ufers. Linden und Covenant schlossen sich an. Sie kamen nur langsam vorwärts. Der Grund des Flußbetts war voller Steine und unvermuteten Löchern, besonders in der Nähe der Böschungen; Covenant mußte darauf achtgeben, wohin er den Fuß setzte. Dennoch zog immer wieder die Brücke seinen Blick an: die unheilvoll schwarze Wölbung des Brückenbogens schien ihnen den Weg wie ein Tor zu versperren. Diese Brücke hatte er einmal mit Lena überquert. Und mit Atiaran. Die Erinnerungen krampften ihm das Herz zusammen.
Er sah keinerlei Anzeichen für die Anwesenheit des Wächters. Der Mann mußte sich hinter der Brüstung des Bauwerks verbergen.
Schließlich erreichten sie die Brücke und begaben sich genau unter sie. Covenant hielt den Atem an, als sich Sunder zum Ufer entfernte. Der Steinmeister erklomm die Böschung mit wohlüberlegter Umsichtigkeit; er suchte sich einen Pfad nach oben, als wäre jeder Kiesel, jede Handvoll Dreck ein Verräter. Bedachtsam schob er sich um das Ende der Brücke. Spannung durchbebte die Luft, als müsse die Nacht splittern.
Covenants Lungen waren wie geschrumpft, lechzten nach der Erleichterung des Aufatmens. Linden stand in zusammengesunkener Haltung da.
Dann hörten sie ein dumpfes Klatschen – das Zerbrechen von Sunders Mirk –, danach ein Stöhnen und das Geräusch eines Körpers, der über ihren Köpfen auf den Stein fiel.
Der Steinmeister sprang mit aller Hast zurück ins Flußbett. »Nun müssen wir uns sputen«, mahnte er, »ehe ein anderer Mann zur Ablösung eintrifft!« Seine Stimme klang
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