Das verwunschene Haus
sie verloren ist. Das Ganze war eine Falle. Der Mann hat sie schon in der Untergrundbahn bemerkt. Doch wie konnte er sie erkennen, wo er sie doch noch nie gesehen hat? Damals hatte sie am Fenster gestanden, und es war dunkel gewesen... Und plötzlich begreift sie: Das Foto in der Zeitung! Natürlich weiß er, wie sie aussieht!
Der Mann hinter ihr beschleunigt seinen Schritt ein wenig, doch nur gerade so viel, wie unbedingt notwendig. Er ist sich seiner Sache sicher, da sein Opfer nicht die geringste Möglichkeit hat, ihm zu entkommen.
Das kleine Mädchen hört ein metallisches Klicken. Der Mörder hat sein Klappmesser geöffnet, jenes Messer mit der zwanzig Zentimeter langen Klinge, das sie damals von ihrem Fenster aus so genau gesehen hatte...
Außer sich vor Angst und Schrecken läuft Elizabeth in eine aufgelassene Lagerhalle hinein. Was für ein lächerliches Versteck! Für den Mann wird es hier nur noch leichter sein, sie zu töten, als draußen auf der Straße, wo vielleicht jemand Vorbeigehen könnte.
Elizabeth ist inzwischen in einen düsteren Innenhof gelangt. Sie beginnt, aus vollem Hals um Hilfe zu rufen. Da hört sie eine Stimme, die von unten zu kommen scheint: »Hierher, rasch!«
Die Kleine bückt sich und entdeckt ein Kellerfenster, das durch das wildwuchernde Unkraut fast ganz verdeckt ist. Kopfüber springt sie hinein.
Es war höchste Zeit, denn ihr Verfolger ist soeben im Hof aufgetaucht. Langsam bewegt er sich vorwärts, wobei er das Messer vor sich herträgt.
»Ich weiß, daß du hier bist!« ruft er. »Ich habe dich gesehen. Und ich werde dich finden, egal, wie lange es dauert! Dann bist du dran, Fräulein Detektiv, genau wie die Alte!« Elizabeth spürt, wie etwas ihren Rücken streift. Als sie sich umdreht, erkennt sie im Halbdunkel einen Jungen, der ungefähr ihr Alter hat. Er ist mit einer schäbigen Hose und einem schmutzigen Hemd bekleidet und trägt eine Schirmmütze. »Der da draußen ist ein Mörder!« flüstert sie ihm zu.
Der Junge lacht stumm und flüstert in breitem Cockneyakzent zurück: »Ist mir längst klar...«
Der Mann setzt seine Suche im oberen Stock des Lagerhauses fort, so daß die beiden Kinder mit leiser Stimme weitersprechen können.
»Sag mal, warum hat er dich >Fräulein Detektiv< genannt?«
»Weil das stimmt. Ich habe ihn bisher verfolgt, um ihn verhaften zu lassen.«
Der junge Bursche pfeift kaum hörbar durch die Zähne.
»Na so was! Für ein Mädchen bist du ganz schön keß, noch dazu für ein Kind von reichen Eltern! Wie heißt du denn?«
»Elizabeth. Und du?«
»Buster.«
»Sag mal, Buster, was machst du eigentlich hier?«
»Ich wohne hier. Sei unbesorgt, er kann uns nichts anhaben. Man kommt nur durch das Kellerfenster hier herein, und er ist zu groß, um durch die Öffnung zu passen.«
Die beiden Kinder verstummen. Der Mann ist in den Hof zurückgekehrt. Er wirkt außerordentlich bedrohlich.
»Du wirst mir nicht entkommen, du kleines Miststück!« schreit er wütend. »Das nächste Mal mache ich kurzen Prozeß mit dir! Bis dahin kannst du den Bullen wieder erzählen, was du gesehen hast. Aber du wirst nie herausfinden, wo ich wohne!«
Er klappt sein Messer wieder zusammen und geht fluchend davon. Als er verschwunden ist, packt Elizabeth ihren Gefährten am Arm.
»Buster, du mußt ihm folgen!«
»Was? Bist du verrückt?«
»Es ist die einzige Möglichkeit, seine Adresse zu erfahren. Nur du kannst es tun, weil er dich nicht kennt.«
Der Junge zögert sichtlich.
Elizabeth läßt nicht locker: »Sobald du seine Adresse hast, gehst du zu Scotland Yard und sagst den Polizisten, sie sollen mich hier abholen. Du willst doch nicht behaupten, daß du Angst hast, Buster! Bist du etwa weniger mutig als ein Mädchen?«
Gekränkt zuckt der Junge die Schultern.
»Nein, natürlich nicht!« erwidert er. »Aber mit den Bullen habe ich nicht viel im Sinn, weißt du...«
Doch Elizabeth hört ihm schon nicht mehr zu.
»Also los, beeil dich!«
Sie hat gewonnen. Ohne zu antworten, springt Buster mit einem Satz aus dem Kellerfenster und eilt im Laufschritt davon. Elizabeth hat nun Zeit, sich wieder etwas zu erholen, und unter dem Schock all der Ereignisse schläft sie irgendwann ein.
Als sie erwacht, ist es draußen stockdunkel. Durch das Kellerfenster dringt gleißendes Scheinwerferlicht. Sie hört lautes Rufen und das Getrappel von eisenbeschlagenen Schuhen auf dem gepflasterten Innenhof. Schließlich streckt sich ihr eine kleine Hand
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