Das verwunschene Haus
unglückliche Hans verteidigt sich mit aller Kraft.
»Aber ich war es nicht, das schwöre ich dir! Außerdem ist er nicht durch Gewehrschüsse getötet worden, sondern durch Revolverschüsse. Es sind nicht dieselben Kugeln. Das wird man bei der Autopsie feststellen können.«
Werner Scheffel schlägt mit der Faust auf den Tisch. »Zunächst verbiete ich Ihnen, mich zu duzen! Und wenn das, was Sie gerade gesagt haben, stimmt, so beweist es nur, daß Sie selbst einen Revolver dabei hatten. In diesem Fall handelt es sich um vorsätzlichen Mord.«
Dann beginnt Scheffel, ihn mit Fragen zu bombardieren: »Und was ist mit dem Hund? Wie erklären Sie sich, daß der Hund sich nicht gerührt hat? Wenn er den unglücklichen Sachs nicht verteidigt hat, so allein deshalb, weil das Tier den Angreifer kannte! Und was haben Sie dann anschließend unternommen? Warum sind Sie nach Hause zurückgekehrt, statt bei der Gendarmerie und beim Zoll Alarm zu schlagen?«
Hans versucht zu antworten, so gut er kann. Ja, er war bei der Gendarmerie und beim Zoll, aber dort hat er niemanden angetroffen! Und er ist nach Hause gegangen, weil er vollkommen erschöpft war. Aber er hätte seine Kollegen so bald wie möglich verständigt. Was den Hund betrifft, so hat er sich dieselbe Frage gestellt, und er kann es auch nicht begreifen...
In den darauffolgenden Tagen ändert sich nichts am Verhalten von Werner Scheffel und den übrigen. Im Gegenteil, das ganze Dorf stellt sich jetzt hinter die Frau des Opfers und klagt Hans Ehrlich an. Für jeden von ihnen ist es Gewißheit: Er ist der Mörder.
Die Frau von Hans wird wie eine Aussätzige behandelt. Niemand richtet mehr das Wort an sie, und täglich erhält sie Drohbriefe. Doch sie hält als einzige zu ihm. Sie glaubt als einzige an seine Unschuld und hat geschworen, alles zu tun, um dafür den Beweis zu erbringen.
Ihre Besuche im Gefängnis geben Hans die Kraft durchzuhalten. Er hatte zunächst gehofft, ein Rechtsanwalt aus der Gegend, der seit langem mit seiner Familie befreundet ist, werde seinen Fall übernehmen. Doch dieser hatte ihm sofort erklärt: »Ich bin dazu bereit, aber nur dann, wenn Sie sich schuldig bekennen. Andernfalls würde man mir das hier nie verzeihen, und ich wäre all meine Mandanten los...«
Hans muß sich daher mit einem amtlich bestellten Verteidiger zufriedengeben. Dieser hat nun die schwierige Aufgabe, ihn in dem Prozeß zu verteidigen, der Ende Januar 1964 im Angesicht einer Dorfbevölkerung beginnt, deren Gesamtheit sich gegen Hans Ehrlich verschworen hat. All diese Menschen sprechen ohne Haß über den Angeklagten und wirken dabei sogar fast unbeteiligt. Für sie ist Hans Ehrlich der Mörder, weil es auf der Hand liegt, das ist alles.
Der Staatsanwalt reagiert auf die Tränenausbrüche und Schreie des Beschuldigten, indem er ihn als Lügner und Schauspieler abstempelt. Unter diesen Umständen hat Hans nicht die geringste Chance, und so wird er am 31. Januar 1964 nach kurzer Beratung der Jury zu zwanzig Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.
Im Gefängnis beteuert er weiterhin seine Unschuld. Er zieht seine Mitgefangenen als Zeugen heran und erzählt ihnen während der Hofgänge und im Speisesaal immer aufs neue seine Geschichte. Damit bewirkt er jedoch lediglich, daß er aller Welt auf die Nerven fällt. Im Grunde ist es den anderen vollkommen gleichgültig, ob er schuldig oder unschuldig ist. Und wenn er unschuldig verurteilt worden ist, um so besser! Das wäre ihm nur recht geschehen! Viele können ihm nicht verzeihen, ehemals Zöllner gewesen zu sein. In diesem Grenzgebiet ist eine große Zahl von Sträflingen wegen Schmuggelei eingesperrt worden.
Von diesem Moment an wird die Gefängnishaft für Hans Ehrlich zu einem echten Leidensweg. Er ist zum Gespött aller übrigen geworden. Boshaft nennt man ihn nur noch »den Unschuldigen« und traktiert ihn mit entsprechenden Bemerkungen.
Wie zuvor die Dorfbevölkerung haben sich jetzt die Mitgefangenen gegen ihn verbündet. Und die Wärter, die er fast jede Nacht durch sein Geschrei stört, sind ihm ebenfalls alles andere als wohlgesonnen.
Nach sechs Monaten Haft ist er ein gebrochener Mann. Seine Frau, die ihn besucht, so oft es ihr erlaubt wird, ist von seinem Anblick erschüttert. Er scheint um zehn Jahre gealtert zu sein. Wenn sie in verschlüsselter Sprache von ihren Bemühungen um eine Wiederaufnahme des Verfahrens berichten will oder von den Aktivitäten seines Verteidigers, hört er ihr schon nicht mehr
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