Das verwunschene Haus
zu.
Ein Jahr ist darüber ins Land gegangen. Achtzehn Monate nach der Verurteilung ihres Ehemanns, nämlich am 24. Juli 1965, platzt Frau Ehrlich unerwartet in die Gendarmerie von Pfänder. Mit triumphierender Miene hält sie Werner Scheffel ein Stück Papier unter die Nase.
»Da, lesen Sie! Das ist ein anonymer Brief, der besagt, daß mein Mann unschuldig ist und der den Namen des wahren Täters nennt: Er heißt Hermann Vogler. Geben Sie jetzt endlich zu, daß Sie sich geirrt haben und daß mein Mann die Wahrheit gesagt hat?«
Verächtlich betrachtet der Polizeibeamte das Blatt Papier und wirft der Frau dann einen kalten Blick zu. »Alles, was ich hier vor mir sehe, ist ein anonymes Schreiben, und das ist nicht die Art von Beweisstück, das die Polizei interessieren könnte, vor allem nicht anderthalb Jahre später.«
Frau Ehrlich erbleicht. Sie hatte geglaubt, doch noch gewonnen zu haben, hatte geglaubt, der Alptraum sei endlich vorbei. Jetzt wird ihr klar, daß der Fall keineswegs erledigt ist.
»Aber dieser Hermann Vogler existiert mit Sicherheit. Man muß herausfinden, wer das ist.«
Werner Scheffel lacht höhnisch.
»Als ob Sie das nicht wüßten!« sagt er.
»Wieso? Kennen Sie ihn denn?«
»Natürlich, er ist ein ehemaliger deutscher Schmuggler, der inzwischen auf der anderen Seite des Sees lebt. Gut, jetzt haben wir genug Zeit damit verschwendet. Das einzige, was ich für Sie tun kann, ist, Sie nicht wegen falschen Zeugnisses zu verhaften, denn diesen Brief haben Sie selbst verfaßt. Fangen Sie nicht noch einmal mit so etwas an, sonst würde ich mich weniger nachsichtig zeigen...« Frau Ehrlich gibt nicht auf, ganz im Gegenteil. Mehr denn je ist sie entschlossen, den Kampf weiterzuführen. Sie sucht den Anwalt auf. Man weiß jetzt, wer der Schuldige ist, man weiß sogar, wo man ihn finden kann. Sie beschwört den Advokaten, alles zu tun, um den Mann zu einem Geständnis zu bewegen, sei es durch Drohungen oder durch Überzeugungskraft.
Der Anwalt willigt ein. Mühelos findet er heraus, daß der Mann in Lindau wohnt, auf der deutschen Seite des Bodensees. Ein paar Tage später wird der Anwalt bei der Gendarmerie von Pfänder vorstellig. Doch diesmal hält er nicht nur einen anonymen Brief in der Hand, sondern das handschriftliche und Unterzeichnete Geständnis von Hermann Vogler, dem Mörder von Peter Sachs.
In diesem Schriftstück beschreibt er, wie er den Mord in der Nacht des 17. Februar 1964 ausgeführt hatte. Er war an jenem Abend mit seinem Boot und einer Ladung geschmuggelten Tabaks an Bord von der österreichischen Uferseite aus gestartet. Plötzlich sah er sich einem Zöllner gegenüber. Da verlor er die Nerven und schoß. Der Hund, der zweifellos schlecht abgerichtet war. hatte nicht angeschlagen.
Vogler erklärt anschließend, was nach der Verhaftung und der Verurteilung von Hans Ehrlich in ihm vorgegangen war. Immer wieder wurde er zwischen seinen Gewissensbissen und der Angst vor dem Gefängnis hin- und hergerissen. Anderthalb Jahre lang war die Angst vor Strafe stärker, bis plötzlich die Gewissensbisse die Oberhand bekamen. Er konnte so nicht weiterleben. Doch er wollte sich selbst eine letzte Chance geben. Deshalb dachte er sich die Sache mit dem anonymen Brief aus. Wenn die Polizei sich davon nicht überzeugen ließ, war es Pech für Hans Ehrlich, wenn ja, so war es Pech für ihn selbst.
Totenblaß greift Werner Scheffel zum Telefon, um bei den deutschen Behörden die Verhaftung von Hermann Vogler zu bewirken. Und eine Woche später wird Hans Ehrlich endlich aus dem Gefängnis entlassen.
Im Laufe seines Prozesses ist Vogler zu zehn Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden. Die Jury hat ihm zweifellos zugute gehalten, daß er sich, wenn auch verspätet, doch noch zu seiner Tat bekannt hatte.
Hans Ehrlich wurde in das Corps der Zollbeamten wiederaufgenommen und in den nächsthöheren Dienstgrad befördert. Er hatte sich jedoch zwei Vergünstigungen ausgebeten, die ihm gewährt wurden: an eine andere Grenze versetzt zu werden, die so weit wie möglich von Pfänder entfernt liegt, und nie mehr auf Nachtpatrouille gehen zu müssen.
Ironie des Schicksals
18. Februar 1951. Es ist zwei Uhr früh. Selbst mitten in der Nacht herrscht in der brasilianischen Stadt Escada noch immer drückende Hitze.
Wie gewöhnlich ist es in Enriques Taverne brechend voll. Sämtliche sozialen Schichten versammeln sich hier an den Sommerabenden, um Musik zu hören. Man findet reiche
Weitere Kostenlose Bücher