Das verwunschene Haus
ehrenwerte Männer geschildert worden sind. Diese vier haben sich des abscheulichsten aller Verbrechen schuldig gemacht. Sie haben es kaltblütig geplant und ausgeführt, und dennoch waren sie guten Glaubens, das Richtige zu tun.
Alle im Gerichtssaal sind daher ungemein erleichtert, als die Verteidiger der Angeklagten entgegen ihren Anweisungen auf schuldig mit mildernden Umständen plädieren.
Die Jury der Geschworenen schließt sich dieser Sichtweise sofort an, und so wird Michael O’Leary zu zwanzig Jahren Gefängnis verurteilt, während der Vater und die Brüder des Opfers wegen Tatbeihilfe mit fünf Jahren auf Bewährung davonkommen.
Im Laufe dieses außergewöhnlichen Prozesses hat die Justiz getan, was sie konnte, um Gerechtigkeit walten zu lassen, und jeder hoffte, dieser Fall werde der letzte seiner Art sein. Dennoch gerät Michael völlig außer sich, als er den Urteilsspruch vernimmt.
Entsetzt schreit er: »Zwanzig Jahre, das ist doch nicht möglich! Sie wird nicht zwanzig Jahre auf mich warten. Ich muß zum Berg Saint-John hinauf und...«
Er muß mit Gewalt aus dem Saal geführt werden, während er immer wieder schreit: »Ihr habt kein Recht dazu! Ich will Caroll wiederhaben! Ihr habt kein Recht!«
Michael O’Leary wurde wegen guter Führung nach acht Jahren aus dem Gefängnis entlassen.
Sobald er wieder zu Hause war, verfolgte er weiter seine fixe Idee. Jede Nacht stieg er mit einem Messer in der Hand die Hügel zum Berg Saint-John hinauf. Dort pflegte er die ganze Nacht bis zum frühen Morgen zu warten.
Die Polizei, die durch dieses Verhalten zunächst sehr beunruhigt war, erkannte schließlich, daß Michael für niemanden eine Gefahr darstellte. In der Gegend nannte man ihn inzwischen »den Verrückten mit dem Messer«, doch er hatte keineswegs vor, damit jemanden umzubringen. Das Messer war dazu bestimmt, die Zügel des weißen Pferdes zu durchtrennen, das ihm eines Nachts seine Frau wiederbringen würde...
Drei Jahre später entdeckte ein Schäfer unterhalb des Berges Saint-John einen Leichnam. Als die Polizei dort eintraf, sah sie sofort, daß es sich um Michael O’Leary handelte. Sein Messer lag nicht weit von ihm entfernt. Die Züge des ehemaligen Böttchers wirkten heiter und entspannt. Er hatte sogar eine Art Lächeln auf den Lippen.
Laut Ermittlungsergebnis wurde sein Tod durch einen Unfall verursacht. Zu welchem anderen Schluß hätte man auch gelangen sollen? Der Unglückliche mußte in der Nacht gestolpert und die Felsen hinabgestürzt sein.
Doch die Polizisten aus der Gegend wußten genau, daß dies nicht stimmte. Michael O’Leary kannte den Berg Saint-John zu gut, um das Opfer eines solchen Unfalls werden zu können. In Wahrheit wußte jeder, wie die Dinge sich zugetragen hatten.
In jener Nacht, der letzten seines Erdendaseins, muß Michael geglaubt haben, endlich das weiße Pferd mit Caroll auf seinem Rücken zu erblicken, die jetzt, erlöst von dem bösen Zauber, zu ihm zurückkehrte. Er ist auf sie zugestürzt, um die Zügel zu durchschneiden, und in dem Moment muß er das Gleichgewicht verloren haben. Vielleicht geschah es aber auch erst, als Caroll in seine Arme fiel...
Für Michael O’Leary hat die Geschichte von der bösen Fee jedenfalls genau das Ende gefunden, das der Legende entspricht.
Nachtpatrouille
Bereits seit einer halben Stunde bewegen sich die beiden Männer Seite an Seite vorwärts, ohne einander zu sehen. Zum einen, weil es in dieser Nacht des 17. Februar 1963, in der der Mond verborgen bleibt, stockfinster ist, und ein kalter Dauerregen die Uniformen der Zöllner durchdringt. Zum anderen aber, weil die Männer es vermeiden, einander anzublicken. Seitdem sie zu der Patrouille im Wald von Murnau aufgebrochen sind, der zwischen dem Dorf Pfänder und dem Bodensee an der deutsch-österreichischen Grenze liegt, haben sie noch kein Wort miteinander gewechselt.
Für den fünfundzwanzigjährigen Hans Ehrlich ist es keineswegs die erste Patrouille. Diese Art von Geländeüberprüfung entlang des Bodensees, einem bevorzugten Gebiet von Schmugglern, praktiziert er mehrmals im Jahr. Neben sich hört er den regelmäßigen Schritt seines Begleiters und das Hecheln des Hundes, den dieser an der Leine führt. An schwer begehbaren Passagen kommt es sogar vor, daß sie sich gegenseitig streifen.
Wäre es irgend jemand sonst und nicht ausgerechnet Peter Sachs, so hätte er längst mit leiser Stimme das eine oder andere Wort mit ihm gewechselt.
»Alles in
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