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Das vielfarbene Land

Das vielfarbene Land

Titel: Das vielfarbene Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian May
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über hm saß das Menschenwesen, das ihn zwang, ihm den Willen raubte, ihn beherrschte. Er heulte auf vor Zorn und entblößte bernsteinfarbene Zähne, die beinahe so groß wie Felies Finger waren.
    Sie ließ ihn gehen.
    Die Anstrengung hatte ihre Vision getrübt, und ihr Kopf ichmerzte furchtbar von dem Widerstand, den das sture Fleischfresser-Gehirn geleistet hatte. Aber ...
    »Das hast du gemacht, nicht wahr?« fragte Amerie.
    Felice nickte. »Es ging verdammt schwer. Die Biester sind licht auf leichtem Autopilot wie die Chalikos. Es hat jede Minute gegen mich angekämpft. Bärenhunde müssen eine Trainingskonditionierung haben. Die ist schwieriger zu durchbrechen, weil sie tief im Unterbewußtsein eingebettet st. Doch ich glaube, ich habe es jetzt heraus. Am besten schnappt man sie sich, wenn sie erschöpft sind, am Ende der Tagesreise. Wenn ich zwei kontrollieren kann oder sogar mehr ...«
    Aus Ameries Geste sprach Hilflosigkeit. Es war der Nonne unbegreiflich, dieser direkte Zusammenstoß von Verstand gegen Verstand, dies Wirken einer Kraft, die außerhalb ihrer eigenen mentalen Fähigkeiten lag. Wie war es wohl, wenn man Metapsychikerin war sogar eine unvollkommene wie Felice? Wenn man andere lebende Wesen manipulieren, unbelebte Materie zu bewegen und umzubilden vermochte? Wie war es, wenn man wirklich erschuf nicht bloß die Silhouette eines Wanderstiefels, wie sie es mit Hilfe von Epones Apparat geschafft hatte, sondern eine substanzielle Illusion oder sogar Materie und Energie selbst? Wie mochte es sein, sich mit anderen Gehirnen in Einheit zu verbinden? Gedanken zu sondieren? Sich der Macht von Engeln zu erfreuen?
    Ein heller Planet glänzte im Osten nahe der aufgehenden Sonne. Venus ... nein, nenne ihn bei seinem anderen, älteren Namen: Luzifer, leuchtender Engel des Morgens. Amerie empfand einen leichten Angstschauer.
    Führe sie nicht in Versuchung, sondern vergib uns, wenn wir uns an Felices Feuer wärmen, auch wenn sie brennt...
    Die Karawane stieg ins Unterland hinab. Von der Hochebene ging es in ein weiteres Flußtal, das sich westwärts durch die Monts du Charolais öffnete. Die verstreuten Zwergpalmen, Pinien und Robinien der Höhe machten Ahornen und Pappeln, Walnußbäumen und Eichen Platz, und schließlich kam man in einen tiefen, feuchten Wald mit Tupelos, kahlen Zypressen, Bambusdickichten und großen alten Tulpenbäumen von mehr als vier Metern Durchmesser. Üppiges Buschwerk war im Überfluß vorhanden und machte die Landschaft zum Muster eines urzeitlichen Dschungels. Amerie rechnete ständig damit, Dinosaurier oder geflügelte Reptilien auftauchen zu sehen, obwohl sie wußte, daß der Gedanke idiotisch war. Die Fauna des Pliozän war, genau betrachtet, den Tieren sehr ähnlich, die sechs Millionen Jahre später für die Erde neu rückgezüchtet worden waren.
    Die Reiter erhaschten flüchtige Blicke auf kleines Rotwild mit gegabeltem Geweih, ein Stachelschwein und eine riesige Sau, gefolgt von listigen gestreiften Frischlingen. Ein Trupp mittelgroßer Halbaffen schwang sich durch das obere Stockwerk des Waldes und folgte der Karawane kreischend, kam jedoch nie nahe genug heran, um deutlich gesehen zu werden. An einigen Stellen waren Büsche und kleine Bäume ausgerissen und ihres Laubs beraubt worden. Kothaufen, die nach Elefant rochen, verrieten, daß dies das Werk von Mastodons war. Ein Löwengebrüll von unheimlicher Stärke veranlaßte die Bärenhunde, herausfordernd zurückzuheulen. War es ein Machairodus, eine der löwenähnlichen Säbelzahnkatzen, die die häufigste Raubtierart des Pliozän darstellten?
    Nach der gefängnishaften Umgebung der Burg und dem alle Sinne lähmenden nächtlichen Ritt wurden sich die Zeitreisenden nun eines neuen Gefühls bewußt, das sogar ihre Erschöpfung und ihre Schmerzen und die Erinnerung an vernichtete Hoffnungen überwand. Dieser Wald, durchdrungen von den schrägen Strahlen der Morgensonne, war unzweifelhaft eine andere Welt, eine andere Erde. Hier war in lebendiger Wirklichkeit die unverdorbene Wildnis, von der sie alle geträumt hatten. Wenn man die Soldaten und die Ketten und die fremde Sklavenherrin wegradierte, konnte man diesen Pliozän-Wald sehr wohl als Paradies akzeptieren.
    Taubeperlte Riesenspinnennetze, unglaubliche Massen von Blüten, Früchte und Beeren, die wie barocke Edelsteine in grünen Fassungen aller Schattierungen leuchteten ... Klippen mit dünnen Wasserfällen, die in Teiche vor moosigen Grotten tropften ... Mengen

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