Das vielfarbene Land
dahinströmenden Fluß, der in südliche Richtung verlief. Claude meinte, es könne die obere Saone sein. »Wir werden diesem Fluß nicht folgen«, sagte er zu der übrigen Gruppe. »Wahrscheinlich biegt er nach Südwesten ab und mündet vierzig oder fünfzig Kilometer stromabwärts in den See. Wir müssen hinüber, und das bedeutet die Dekamol-Brücken.«
Jeder Überlebenspack war mit drei Brückenabschnitten ausgestattet, die zu einem schmalen, sich selbst tragenden Gebilde von zwanzig Metern Länge vereinigt werden konnten. Es ähnelte einer Leiter mit dicht beieinanderstehenden Sprossen. Sie zogen den Fluß bis zu einer Stelle hinauf, wo er sich zwischen zwei zerklüfteten Felsen verengte, bliesen die Abschnitte auf, beschwerten und vereinigten sie und schwangen die Brücke hinüber zum anderen Ufer.
»Sieht ziemlich zerbrechlich aus«, bemerkte Richard voller Unbehagen. »Komisch als wir in der Auberge damit geübt haben, schien das Ding viel breiter zu sein.«
Die Brücke war gut ein Drittel Meter breit und fest wie ein Fels. Allein, sie hatten sie dazu benutzt, einen stillen Teich in der Höhle der Auberge zu überqueren, während hier strudelnde Stromschnellen und scharfe Felsen unten auf sie warteten.
»Wir könnten eine zweite Brücke aufblasen und die beiden
Seite an Seite festzurren, wenn du dich dann sicherer fühlst«, schlug Amerie vor. Aber der Pirat warf sich indigniert in die Brust, schulterte seinen Packen und schlingerte hinüber wie ein Seiltänzer-Lehrling.
»Jetzt du, Amerie«, sagte Claude.
Die Nonne trat zuversichtlich auf die Brücke. Auf wie vielen Hunderten von Baumstämmen war sie schon über Bergbäche der Oregon Cascades balanciert! Die Holme standen weniger als eine Handspanne auseinander; es war unmöglich, hindurchzufallen. Es war nichts weiter erforderlich als ein fester Schritt und eine ausgewogene Haltung. und natürlich mußte sie die Augen auf das jenseitige Ufer und nicht auf den schäumenden Schlund sechs Meter weiter unten richten ...
Sie bekam einen Krampf im rechten Oberschenkel, schwankte, fing sich wieder, neigte sich zu weit zur anderen Seite und fiel mit den Füßen voran in den Fluß.
»Wirf deinen Rucksack ab!« schrie Felice. Mit blitzschnellen Bewegungen ließ sie Bogen und Pfeile fallen, öffnete ihren Rucksack, schlug auf die Schnellverschlüsse ihres Küraß und ihrer Beinschienen und sprang Amerie nach.
Richard sah von der anderen Seite her mit offenem Mund zu, aber der alte Mann rannte auf dem Weg, den sie gekommen waren, zurück, bis zu der relativ ruhigen Stelle, wo der kleinere Fluß mündete. Zwei Köpfe tanzten in den Stromschnellen. Der vordere stieß gerade gegen einen buckligen Stein und verschwand. Der zweite flog an den Stein heran und ging ebenfalls unter, aber nach einem langen Moment kamen beide Frauen wieder hoch und trieben auf Claude zu. Er packte ein kräftiges Stück Treibholz und hielt es ihnen hin. Felice faßte es mit einer Hand, und es gelang ihm, sie heranzuziehen. Ihre andere Hand hatte sie in Ameries Haar verkrallt.
Claude watete hinaus und zerrte die Nonne ans Ufer. Felice lag auf Händen und Knien im seichten Wasser, spuckte und hustete. Er bog Ameries triefenden Körper im Taschenmessergriff, um die Lungen von Wasser zu leeren, dann füllte er sie mit seinem eigenen warmen Atem.
Atme, Kind! flehte er sie an. Lebe, Tochter!
Er hörte einen erstickten Laut, sah ein erstes zögerndes Heben der Brust unter der durchweichten und zerrissenen uniform eines Sternenschiff-Kapitäns. Ein letzter Kuß geteilten Atems, und sie kehrte ins Leben zurück.
Ameries Augen öffneten sich. Sie starrte erst Claude, dann die lächelnde Felice wild an. Ein würgendes Schluchzen entrang sich ihrer Kehle. Sie vergrub ihren Kopf an des alten Mannes Brust. Er bat Felice, den warmen orcadianischen Pullover aus seinem Rucksack zu nehmen, und wickelte die Nonne darin ein. Aber als er versuchte, Amerie hochzuheben und über die Brücke zu tragen, erwies sie sich als viel zu schwer für ihn. So war es die kleine Athletin, die der Nonne helfen mußte, während der Paläontologe sich mit seinem und Felices Gepäck belud.
Ameries Rucksack mit den medizinischen Vorräten war verloren, weit stromabwärts davongetragen. Sie mußten ihren gebrochenen Arm mit der dürftigen Erste-Hilfe-Ausstattung der einzelnen Überlebenspacks nach den Anweisungen einer lakonischen Buchplatte mit dem Titel Häufige medizinische Notfälle schienen. Die Verletzung war
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