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Das vielfarbene Land

Das vielfarbene Land

Titel: Das vielfarbene Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian May
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folgten ihrem trollähnlichen Führer auf einem schmalen, aber sehr deutlichen Pfad. Sie umgingen die Bergschluchten und gerieten in einen Teil des Schwarzwaldes, der fast mit ebensovielen Laubbäumen wie Koniferen bestanden war. Überall, wo die Bäche ihren Lauf genügend verlangsamten, um Teiche zu bilden, waren Fleckchen voll von hohen Farnen und Erlen, kriechenden Klematis-Ranken und herbstblühenden Primeln mit giftgrellen Blüten entstanden. Sie kamen an ein Tal, wo das Wasser einer heißen Quelle an die Oberfläche brodelte. Wuchernde, ungesund wirkende Vegetation drängte sich um den dampfenden Schwall. Eine Rabenschar krächzte hämische Grüße von dem halb verzehrten Kadaver eines kleinen Rehs, der nahe dem Rand des von Mineralien besetzten Tümpels lag. Weitere Knochen einige blank, einige mit dickem Moos bepelzt waren im Unterholz verstreut.
    Weiter östlich begannen sich die Gesteinsformationen zu ändern. Farbige Kalkstein-Auswüchse mengten sich unter den Granit. »Höhlenland«, bemerkte Claude. Madame und er wanderten jetzt Seite an Seite, da der Pfad sich unterhalb einer bewaldeten Klippe verbreitert hatte. Die Sonne schien warm; trotzdem empfand der Paläontologe eine unterirdische Kälte. An den wenigen Stellen, wo die Felsoberfläche sichtbar war, sahen sie scharlachrote und blaue Schwalben mit langen Gabelschwänzen, die in Löcher des Kalksteins hinein- und wieder herausschössen. Dickrippige Elefantenohren wuchsen in dichten Klumpen unter den Bäumen. Sie schützten Horste von einwandfreien Fliegenpilzen mit weißem Stiel und roten, weißgetupften Schirmen.
    »Sie sind da«, sagte die alte Frau plötzlich. »Überall um uns! Spüren Sie sie nicht? So viele! und alle ... deformiert.«
    Er erfaßte die Bedeutung dessen, was sie sagte, nicht sofort. Aber es mußte so sein. Daher kam die Unterströmung von Angst, die seit dem frühen Morgen am Rand seines Bewußtseins lauerte. Deshalb war auch der Kobold, den Claude Irrtümlich für einen gewöhnlichen Firvulag gehalten hatte, so übel gelaunt.
    »Les Criards«, sagte Madame. »Sie folgen uns. Einer von ihnen führt uns. Die Heuler.«
    Der Pfad folgte jetzt einem sanft ansteigenden Hang, völlig frei von Geröll. Die Schwalben sausten um die Tannen und Buchen. Schräge Streifen goldenen Lichts fielen wie durch offene Fenster in den Wald ein.
    Die alte Frau sagte: »So ein schöner Ort. Aber es weilt Trostlosigkeit hier, mon vieux, eine spirituelle Bosheit, die gleichzeitig mein Herz rührt und mich abstößt. Und sie wird stärker.«
    Er bot ihr den Arm, denn sie taumelte, offenbar aus keinem physischen Grund. Ihr Gesicht war totenblaß geworden. Wir könnten den Kobold bitten, haltzumachen«, schlug Claude vor.
    Ihre Stimme klang dumpf. »Nein. Es ist notwendig, weiterzugehen ... Ah, Claude! Sie sollten Gott danken, daß er sie nicht empfänglich für die Emanationen anderer Gehirne gemacht hat! Alle intelligenten Wesen haben ihre geheimen Gedanken, solche, die jedem den lieben Gott ausgenommen verborgen bleiben. Aber es gibt noch andere Gedanken auf unterschiedlichen psychischen Ebenen die nicht verbale Sprache, die Ströme und Stürme der Emotionen, Letztere sind es, die mich jetzt einhüllen. Es ist eine ganz tiefe Feindseligkeit, eine Bösartigkeit, die nur von extrem verkrüppelten Charakteren ausgehen kann. Die Heulenden! Sie hassen andere Wesen, aber sich selbst hassen sie noch mehr. Und ihr Heulen füllt meinen Kopf...«
    »Können Sie das nicht ausschließen? Sich verteidigen wie damals gegen die Jagd?«
    »Wenn meine Fähigkeit richtig ausgebildet worden wäre«, antwortete sie resigniert. »Aber alles, was ich weiß, habe ich mich selbst gelehrt. Ich weiß nicht, wie ich dieser Horde entgegentreten soll. Sie bietet mir keine konkrete Drohung, bei der sich ansetzen ließe.« Ihr Gesichtsausdruck zeigte, daß sie am Rand der Panik stand. »Sie tun nichts anderes als hassen. Mit all ihrer Kraft ... hassen sie.«
    »Sind sie mächtiger als gewöhnliche Firvulag?«
    »Ich bin mir nicht sicher. Aber sie sind auf eine unnatürliche Art anders. Deshalb habe ich sie deformiert genannt. Bei den Firvulag und auch bei den Tanu spüren menschliche Metapsychiker eine gewisse mentale Verwandtschaft. Es spielt keine Rolle, daß der Fremde ein Feind ist. Aber niemals könnte ich mich diesen Criards verwandt fühlen! Ich bin noch nie so vielen von ihnen so nahe gewesen. In unserer kleinen Enklave in den Vogesen sind wir ihnen nur selten begegnet, und

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