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Das vierte Protokoll

Das vierte Protokoll

Titel: Das vierte Protokoll Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Forsyth
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Wartezimmer, wo die gehfähigen Patienten sitzen und warten, bis sie an der Reihe sind.
    Craig ließ McBain mit den Aufnahmeformularen in der Eingangshalle zurück und ging durch die Spiegeltüren zu den Untersuchungsräumen. Am anderen Ende des Ganges sah er die Bahre mit dem bewußtlosen Mann stehen. Die Stationsschwester warf den üblichen ersten Blick auf den Patienten - auf jeden Fall lebte er - und wies die Krankenträger an, ihn in einer der Untersuchungskabinen auf den Behandlungstisch zu legen, damit die Bahre wieder in den Notdienstwagen gebracht werden konnte. Die Männer wählten die Kabine, die dem Schwesternzimmer gegenüberlag.
    Der Assistenzarzt, ein Inder namens Mehta, wurde geholt. Er ließ von den Krankenträgern den Oberkörper des Patienten freimachen - an der Hose waren keine Blutspuren - und führte eine längere Untersuchung durch, ehe er eine Röntgenaufnahme anordnete. Dann wandte er sich dem nächsten Notfall zu, einem Verkehrsopfer.
    Die Stationsschwester rief in der Röntgenabteilung an, aber die war im Moment belegt. Man würde Bescheid geben, sobald sie frei war. Sie setzte Wasser auf, um sich eine Tasse Tee zu machen. Police Constable Craig, der sich überzeugt hatte, daß sein namenloser Schützling noch immer bewußtlos in der Kabine lag, nahm den Anorak des Mannes an sich, ging über den Gang ins Schwesternzimmer und legte Jacke und Jutesack auf den Tisch.
    »Hätten Sie vielleicht eine Tasse von dem Gebräu für mich übrig?« fragte er die Schwester in dem kameradschaftlichen Ton der Nachtarbeiter, die mit vereinten Kräften im Chaos einer Großstadt wieder Ordnung schaffen.
    »Hätt' ich schon«, sagte sie, »seh' bloß nicht ein, warum ich für euresgleichen was übrig haben sollte.«
    Craig grinste. Er tastete die Taschen des Anoraks ab und brachte ein Seefahrtbuch zum Vorschein. Es trug das Foto des Mannes, der drüben in der Kabine lag, und war in zwei Sprachen ausgestellt, in Russisch und in Französisch. Er beherrschte keine von beiden. Die kyrillische Schrift konnte er nicht lesen, aber der Name war im französischen Teil in lateinischen Buchstaben geschrieben.
    »Wer ist denn unser Jimmy?« fragte die Stationsschwester, während sie zwei Tassen Tee eingoß.
    »Sieht aus wie ein Matrose, und ein russischer noch dazu«, sagte Craig verwirrt. Ein Bürger Glasgows, den eine Bande von Neds zusammenschlug, war kein Problem; ein Ausländer und zudem ein Russe, das konnte durchaus eines sein. In der Hoffnung, herauszufinden, von welchem Schiff der Mann war, leerte Craig den Jutesack.
    Er enthielt weiter nichts als einen dicken Wollpullover, der um eine runde Tabaksdose mit Schraubdeckel gewickelt war. In der Dose war kein Tabak, sondern Watte, und darin steckten drei kleine Scheiben, zwei aus Aluminium, zwischen ihnen eine dritte aus stumpfgrauem Metall, etwa fünf Zentimeter im Durchmesser. Craig betrachtete die Scheiben ohne Interesse, legte sie in ihr Wattebett zurück, schraubte den Deckel wieder zu und legte die Dose neben das Seefahrtbuch auf den Tisch.
    Er wußte nicht, daß das Opfer des Überfalls zu sich gekommen war und durch den Vorhang der Kabine zu ihm herüberspähte. Er wußte hingegen, daß er beim Revier anrufen und melden mußte, er habe da einen schwerverletzten Russen aufgegabelt.
    »Darf ich mal das Telefon benutzen, Schatz?« fragte er die Schwester und streckte die Hand nach dem Hörer aus.
    »Mit Schatz geht hier gar nichts«, gab die Schwester zurück, die um einiges älter war als der vierundzwanzigjährige Craig. »Mein Gott, die werden jeden Tag jünger.«
    Police Constable Craig begann zu wählen. Was Konstantin Semjonow in diesem Augenblick durch den Kopf ging, wird man nie erfahren. Vermutlich hatte er durch die Tritte an den Hinterkopf eine Gehirnerschütterung erlitten, er war benommen und verwirrt und sah auf der anderen Seite des Korridors die unverwechselbare schwarze Uniform eines britischen Polizisten, der ihm den Rücken zuwandte. Und auf dem Tisch, neben der Hand des Polizisten, sah er sein Seefahrtbuch und den Gegenstand, den er hatte nach England bringen und dem Agenten am Bootsteich übergeben sollen. Er hatte beobachtet, wie der Beamte den Gegenstand prüfte - er selber hatte nie gewagt, die Dose zu öffnen -, und jetzt telefonierte der Mann. Vielleicht sah Semjonow sich im Geist bereits endlosen Verhören dritten Grads in einem modrigen Keller unter dem Polizeipräsidium von Strathclyde unterworfen.
    Ehe Police Constable Craig wußte,

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