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Das vierte Protokoll

Das vierte Protokoll

Titel: Das vierte Protokoll Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Forsyth
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die manchmal gemeinsam im Haupthaus dinieren, aber in verschiedenen Vierteln der Stadt »Räume« bewohnen, und andere, die auswärts ansässig sind und nur zu Besuch kommen. Zuweilen werden Außenseiter geladen, die vor den Fellows sprechen - eine seltene Ehre -, und zuweilen arbeiten Professoren und Fellows für die höheren Etagen des britischen Establishments »Papiere« aus, die sehr ernst genommen werden. Die Finanzierung des College ist ebenso undurchsichtig wie alles übrige.
    In Wahrheit ist Saint Anthony's eine Denkfabrik wo Superhirne, häufig mit breiter nichtakademischer Erfahrung, sich dem Studium einer einzigen Disziplin widmen: den politischen Tagesproblemen.
    An diesem Abend also speiste Sir Nigel mit seinem Gastgeber, Professor Jeremy Sweeting, im Haupthaus, und nach einem ausgezeichneten Mahl nahm der Professor Sir Nigel mit in seine »Räume«, ein komfortables Haus am Stadtrand von Oxford, zu Portwein und Kaffee.
    »Also, Nigel«, sagte Professor Sweeting, als sie eine Flasche Vintage Port aus dem Hause Taylor geöffnet und es sich am Kaminfeuer im Arbeitszimmer gemütlich gemacht hatten, »was kann ich für Sie tun?«
    »Haben Sie zufällig von einer Sache gehört, Jeremy, die sich M. B. R. nennt?«
    Professor Sweetings Portweinglas blieb auf halber Höhe schweben. Er starrte es eine ganze Weile an.
    »Wirklich, Nigel, Sie verstehen es, einem den Abend zu verderben, wenn Sie's darauf angelegt haben. Woher haben Sie diese Buchstaben?«
    Anstatt einer Antwort reichte Sir Nigel Irvine seinem Gastgeber den Preston-Bericht. Professor Sweeting las ihn sehr genau, was eine Stunde dauerte. Irvine wußte, daß der Professor, im Gegensatz zu John Preston, nicht gern reiste. Er begab sich nicht vor Ort. Aber er besaß ein enzyklopädisches Wissen über die marxistische Theorie und Praxis, den dialektischen Materialismus und die Lehren Lenins von der Anwendbarkeit der Theorie auf die Praxis der Machterringung. Sweetings widmete sich mit ganzer Hingabe der Lektüre und Analyse, dem Studium und dem kritischen Vergleich.
    »Interessant«, sagte er, als er den Bericht zurückgab. »Verschiedener Ausgangspunkt, natürlich auch eine andere Einstellung und eine völlig verschiedene Methode. Aber wir sind zu den gleichen Antworten gelangt.«
    »Und könnten Sie mir freundlichst sagen, zu welchen Antworten Sie gelangt sind?« fragte Sir Nigel höflich.
    »Es ist natürlich nur Theorie«, gab Professor Sweeting zu bedenken. »Tausend Halme im Wind, die zusammen einen Heuballen ergeben können oder auch nicht. Also, folgendes habe ich seit Juni 1983 eruiert.«
    Er redete zwei Stunden lang, und als Sir Nigel sich weit nach Mitternacht verabschiedete und sich nach London zurückfahren ließ, war er sehr nachdenklich.
    Die Akademik Komarow lag am Finniestonkai im Herzen von Glasgow vor Anker, so daß der riesige Kran, der dort aufgestellt war, am folgenden Morgen die Pumpen an Bord hieven könnte. Zoll- oder Paßkontrollen finden hier nicht statt; ausländische Seeleute können ohne weiteres von Bord gehen, den Kai entlang und in die Straßen der Stadt.
    Um Mitternacht, während Professor Sweeting noch immer dozierte, schritt der Leichtmatrose Semjonow die Gangway hinunter, folgte etwa hundert Yards weit dem Kai, machte einen Bogen um Betty's Bar, vor deren Tür ein paar betrunkene Seeleute noch immer ihr Recht auf einen einzigen weiteren Drink forderten, und schwenkte dann in die Finnieston Street ein.
    Der Mann mit den Stulpenstiefeln, Kordhosen, dem Rollkragenpullover und Anorak fiel hier nicht auf. Unter dem Arm trug er einen Jutesack mit Zugband. Nach der Unterführung des Clydeside Expressway gelangte er zur Argyle Street, in die er links einbog, bis er Partick Cross erreichte. Er benützte keinen Stadtplan, sondern marschierte stracks weiter zur Hyndland Road. Nach einer Meile erreichte er eine weitere große Durchfahrtsstraße, die Great Western Road. Er hatte sich seinen Weg schon Tage zuvor genau eingeprägt.
    Jetzt zog er seine Uhr zu Rate: sie sagte ihm, daß er noch eine halbe Stunde Zeit hatte; und bis zum Treffpunkt waren es kaum zehn Minuten zu gehen. Er wandte sich nach links und marschierte in Richtung des Hotels Pond, nahe am Bootsteich kurz hinter der BP-Tankstelle, deren Lichter bereits in der Ferne blinkten. Er hatte fast schon die Bushaltestelle an der Kreuzung Great Western und Hughenden Road erreicht, als er die jungen Leute sah. Sie lungerten im Wartehäuschen der Haltestelle herum. Es war halb

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