Das vierte Protokoll
paar Sekunden später fühlte er, daß jemand neben ihm stand, und blickte auf. Er sah einen jungen Engländer im schwarzledernen Motorraddreß.
»Stimmt etwas nicht?« fragte der junge Mann.
»Muß wohl der Vergaser sein«, sagte Dorn.
»Nein«, sagte der Motorradfahrer ernst, »ich glaube, es ist der Verteiler. Außerdem kommen Sie zu spät.«
»Tut mir leid, die Fähre ist schuld. Und der Zoll. Ich habe das Ding drinnen.«
Im Wohnwagen zog der Motorradfahrer einen Segeltuchsack aus der Jacke, während Dorn ächzend und mit Mühe einen der Kinderbälle aus der Spielzeugtruhe hievte.
Der Ball hatte nur etwa zwölf Zentimeter Durchmesser, aber er wog über zwanzig Kilo. Reines Uran 235 ist schließlich doppelt so schwer wie Blei.
Als Valeri Petrofski den Beutel über den Parkplatz zu seinem Motorrad trug, mußte er seine ganze nicht unbeträchtliche Kraft aufbieten, um den Beutel lässig in einer Hand zu halten, als sei nichts Besonderes darin. Aber ihn beobachtete sowieso niemand. Dorn stellte den Motor ab und ging zu seiner Familie in das Café.
Das Motorrad mit seiner Fracht hinter dem Sattel donnerte in Richtung London, den Dartford Tunnel und Suffolk davon. Kurier Nummer sechs hatte geliefert.
Am 4. Mai begriff Preston, daß er auf dem Holzweg war. Die Suche dauerte nun schon fast drei Wochen und hatte noch immer nichts zutage gefördert als eine einzelne Poloniumscheibe, die ihm durch einen puren Glückstreffer in die Hände gefallen war. Wie er sehr wohl wußte, konnte er unmöglich darum nachsuchen, daß jeder Besucher bei der Einreise nach England bis auf die Haut gefilzt werde. Er konnte allenfalls eine verstärkte Überprüfung aller einreisenden Ostblockbürger fordern und sofortige Meldung an ihn persönlich, sobald ein verdächtiger Paß vorgelegt würde. Und es gab noch eine weitere und letzte Chance.
Nach dem Gutachten der Kernphysiker von Aldermaston mußten drei der Zubehörteile, die selbst für eine sehr primitive Atombombe unerläßlich sind, sehr schwer sein. Erstens ein Block puren Urans 235; zweitens ein zylindrischer oder kugelförmiger, einen Zoll dicker Schutzmantel aus gehärtetem dehnungsfestem Stahl, drittens eine gleichfalls einzöllige und ungefähr fünfundzwanzig Zentimeter lange Röhre aus dem gleichen Material, dreizehn Kilo schwer.
Preston vermutete, daß zumindest diese drei Dinge in Fahrzeugen ins Land gebracht werden müßten, und bat daher um verstärkte Überprüfung ausländischer Fahrzeuge, wobei besonders auf Gegenstände zu achten sei, die einem Ball, einer Kugel und einer Röhre glichen und extrem schwer seien.
Er wußte, wie ausgedehnt das Suchgebiet war. Ein Strom von Motorrädern, Pkws, Kombis, Lastwagen und Sattelschleppern floß Tag für Tag das ganze Jahr hindurch in beiden Richtungen über die Grenzen. Allein der Warenverkehr würde, wenn man jeden Lastwagen anhalten und durchsuchen wollte, das ganze Land nahezu lahmlegen. Er suchte die sprichwörtliche Nadel im Heuschober, und er hatte nicht einmal einen Magnet.
Bei George Berenson machte sich der Streß allmählich bemerkbar. Seine Frau war wieder auf den stolzen Landsitz ihres Bruders in Yorkshire zurückgekehrt, Berenson hatte zwölf Sitzungen mit den Leuten vom Ministerium hinter sich und für sie jedes einzelne Dokument identifizieren müssen, das er jemals an Jan Marais weitergegeben hatte. Er wußte, daß er unter Beobachtung stand, und seine Nerven wurden davon nicht besser.
Auch nicht von dem täglichen Gang ins Ministerium und von dem Gedanken, daß sein beamteter Unterstaatssekretär, Sir Peregrine Jones, von seinem Verrat wußte. Den Rest aber gab ihm die Tatsache, daß er nach wie vor gelegentlich Sendungen mit angeblich aus dem Ministerium entwendeten Dokumenten an Jan Marais zur Weiterleitung nach Moskau schicken mußte. Seit er wußte, daß der Südafrikaner Sowjetagent war, hatte er eine persönliche Begegnung vermieden. Aber er mußte alles lesen, was er via Marais nach Moskau gehen ließ, für den Fall, daß Marais ihn zwecks Klärung irgendeiner Einzelheit in bereits abgeschicktem Material anrufen sollte.
Immer wenn er die Papiere las, die er weitergeben mußte, beeindruckte ihn die Geschicklichkeit der Fälscher. Jedes Schriftstück basierte auf einem echten Dokument, das wirklich über seinen Schreibtisch gegangen war, enthielt aber eine Reihe von Veränderungen, die so raffiniert eingearbeitet waren, daß sie im einzelnen nicht auffielen, im ganzen jedoch einen völlig
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