Das vierte Protokoll
hatte ihn wieder in den Beutel gelegt und die Suche ohne Ergebnis beendet. Wosniak vermutete, daß der Apparat nicht reagiert hätte, wenn jemand ihn wirklich angeschaltet hätte. Schließlich mußte außer dem üblichen Motor noch irgend etwas darin stecken. Warum hätte er ihn sonst nach London bringen müssen?
Punkt acht Uhr betrat er den Waschraum im Souterrain der Empfangshalle. Ein unauffälliger Mann im beigen Regenmantel wusch sich gerade die Hände. Mist, dachte Wosniak, wenn der Kontaktmann auftaucht, müssen wir warten, bis dieser Engländer verschwindet. Dann sprach der Mann ihn auf englisch an.
»Guten Morgen. Ist das die Uniform der jugoslawischen Luftfahrtgesellschaft?«
Wosniak seufzte vor Erleichterung.
»Nein, ich bin von der staatlichen polnischen Luftfahrtgesellschaft.«
»Polen ist ein schönes Land«, sagte der Fremde und trocknete sich die Hände ab. Er wirkte völlig unbefangen. Wosniak war das alles neu; einmal und nie wieder, das hatte er sich geschworen. Er stand auf dem Fliesenboden und hielt seinen Rasierapparat in der Hand. »Ich habe manche glückliche Zeit in Ihrem Land verbracht.«
»Das ist es«, dachte Wosniak. »Manche glückliche Zeit... das Losungswort.«
Er streckte die Hand mit dem Rasierapparat aus. Der Engländer runzelte die Stirn und blickte zu einer der Kabinentüren. Entsetzt merkte Wosniak, daß die Tür geschlossen war; es mußte jemand drinnen sein. Der Fremde wies mit einer Kopfbewegung auf die Ablage über dem Waschbecken. Wosniak legte den Apparat darauf. Dann nickte der Engländer in Richtung der Stehbecken. Hastig zog Wosniak den Reißverschluß seiner Hose auf und stellte sich vor ein Becken.
»Vielen Dank«, murmelte er, »ich finde es auch schön.«
Der Mann im beigen Mantel steckte den Rasierapparat ein, hielt fünf Finger hoch, um anzudeuten, daß Wosniak noch fünf Minuten hier bleiben solle, und ging.
Eine Stunde später verließen Petrofski und sein Motorrad die Vororte, dort, wo Nordost-London an die Grafschaft Essex grenzt. Vor ihm lag die Schnellstraße M12. Es war neun Uhr.
Zur gleichen Stunde schob sich das Fährschiff Tor Britannia der DFDS-Linie aus Göteborg den Parkstone Quai in Harwich entlang, achtzig Meilen entfernt, an der Küste von Essex. Die Passagiere, die an Land strömten, bildeten die übliche Mischung aus Touristen, Studenten und Geschäftsleuten. Zur letzteren Gruppe gehörte Herr Stig Lundqvist in seiner großen Saab- Limousine.
Seine Papiere wiesen ihn als schwedischen Geschäftsmann aus, und das stimmte. Er war in der Tat von jeher schwedischer Staatsbürger. In den Papieren stand allerdings nicht, daß er auch seit vielen Jahren kommunistischer Agent war und wie Helmut Dorn für den gefürchteten General Marcus Wolf arbeitete, den jüdischen Chef der Abteilung »Ausland« im HVA, dem Geheimdienst der Deutschen Demokratischen Republik.
Stig Lundqvist wurde diesmal gebeten, auszusteigen und sein Gepäck zum Zolltresen zu bringen. Was er höflich lächelnd auch tat.
Ein zweiter Zollbeamter öffnete die Motorhaube und blickte hinein. Er suchte nach einem kugelförmigen Gegenstand von der Größe eines kleinen Fußballs oder einer stangenförmigen Röhre, die im Motorraum verborgen sein könnte. Er fand nichts dergleichen. Er sah unter der Karosserie nach und schließlich im leeren Kofferraum. Er stöhnte. Diese Anweisungen aus London waren wirklich das letzte. Der leere Kofferraum enthielt nur das übliche Werkzeug, an der Seitenwand war ein Wagenheber befestigt, an der anderen ein Feuerlöscher. Der Schwede stand neben dem Beamten, seine Koffer in der Hand.
»Bitte«, sagte der Schwede, »iss in Ordnung?«
»Ja, vielen Dank, Sir. Einen schönen Aufenthalt.«
Eine Stunde später, kurz vor elf Uhr, fuhr der Saab auf den Parkplatz des Hotels Kings Ford Park im Dorf Layer de la Haye, südlich von Colchester. Lundqvist stieg aus und reckte sich. Es war die Zeit der vormittäglichen Kaffeepause, und auf dem Parkplatz standen mehrere Wagen, alle unbewacht. Er blickte auf die Uhr; fünf Minuten bis zur festgesetzten Zeit. Gerade noch geschafft. Er wußte, daß er im Fall einer Verspätung noch die Stunde bis zwölf hätte abwarten müssen, und dann einen Ausweichtreff irgendwo anders wahrnehmen. Er fragte sich, ob und wann der Kontaktmann auftauchen werde. Weit und breit war niemand zu sehen, nur ein junger Mann, der am Motor einer BMW-Maschine herumbastelte. Er hatte keine Ahnung, wie sein Kontaktmann aussah. Er zündete
Weitere Kostenlose Bücher