Das vierte Protokoll
verschiedene unionistische Gruppierungen fallen, die im Parlament die Konservativen unterstützen, und fünf an die Nationalisten, die London boykottieren oder mit der Harten Linken stimmen. Blieben 613 Wahlkreise, in denen sich der traditionelle Kampf zwischen Konservativen und Labour abspielen würde. Für eine klare Mehrheit müßte Mrs. Thatcher 325 dieser Wahlkreise bekommen.
Ferner hätten die Umfragen gezeigt, dozierte der Parteivorsitzende weiter, daß Labour nur vier Prozentpunkte hinter den Konservativen liege. Seit dem Juni 1983, als sie zu ihrem neuen Image von Einigkeit, Mäßigung und Toleranz fand, habe die Labour Party um volle zehn Prozentpunkte aufgeholt.
Die Harte Linke sei fast verstummt, die verrückte Linke verpönt, die programmatische Linie moderat, und die Fernsehauftritte von Mitgliedern des Schattenkabinetts seien seit einem Jahr fast ausschließlich von Vertretern der Mitte bestritten worden. Die Engländer hätten beinahe wieder volles Vertrauen zur Labour Party als der Alternative zur Regierungspartei.
Der Vorsitzende wies seine feierlich lauschenden Kollegen darauf hin, daß der Vorsprung der Konservativen um zwei Prozentpunkte niedriger sei als vor einem halben Jahr und einen Punkt niedriger als vor drei Monaten. Der Trend sei klar. Es sei der gleiche Trend, wie ihn die Parteiorganisation aus den Wahlkreisen melde.
Die Wirtschaftsindikatoren zeigten, daß zwar zur Zeit eine wirtschaftliche Schönwetterlage herrsche und die Arbeitslosenzahl saisonbedingt zurückgehe, daß indes für den Herbst auf dem öffentlichen Sektor mit Streiks zur Durchsetzung von Lohnforderungen gerechnet werden müsse. In der Folge könnte die Popularitätskurve der Konservativen jäh abfallen und den ganzen Winter über nicht wieder ansteigen.
Um Mitternacht war man sich einig, daß es der Sommer 1987 sein mußte oder erst wieder der Juni 1988. Keine Wahlen im Herbst oder Vorfrühling. In den frühen Morgenstunden hatte dann die Premierministerin ihr Kabinett überzeugt. Nur über einen Punkt wurde noch hitzig debattiert - die Dauer des Wahlkampfes.
In England finden die Parlamentswahlen traditionsgemäß nach vierwöchentlichem Wahlkampf an einem Donnerstag statt. Es kommt selten vor, widerspricht jedoch nicht der Verfassung, daß ein Wahlkampf auf drei Wochen abgekürzt wird. Die Premierministerin war instinktiv für einen dreiwöchentlichen Wahlkampf, für eine Überraschungswahl, so daß die Opposition überrumpelt und unvorbereitet sein würde.
Endlich kam man überein: Mrs. Thatcher würde für Donnerstag, den 28. Mai, um eine Audienz bei der Königin nachsuchen und die Auflösung des Parlaments fordern. Der Tradition folgend, würde sie anschließend in die Downing Street zurückkehren, um von dort eine öffentliche Verlautbarung ergehen zu lassen. Mit diesem Moment würde der Wahlkampf beginnen. Wahltag: Donnerstag, der 18. Juni.
Am Spätnachmittag, während die Minister noch schliefen, brauste die große BMW aus Nordosten auf London zu. Petrofski fuhr zum Hotel Post House in Heathrow, stellte seine Maschine auf den Parkplatz, schloß sie ab und verwahrte den Sturzhelm im Koffer hinter dem Sitz.
Er schlüpfte aus der schwarzen Lederjacke und der Hose mit den seitlichen Reißverschlüssen. Darunter trug er eine gewöhnliche graue Flanellhose, zerknittert, aber unauffällig. Die Stiefel warf er in eine der Satteltaschen, der er ein Paar Straßenschuhe entnommen hatte. Den Lederanzug stopfte er in die andere Satteltasche, aus der ein neutrales Tweedjakkett und ein beiger Regenmantel zum Vorschein gekommen waren. Als er die Empfangshalle des Hotels betrat, war er ein ganz gewöhnlicher Mann in einem ganz gewöhnlichen Regenmantel.
Karel Wosniak hatte nicht gut geschlafen. Erstens hatte ihm der vergangene Abend den Schock seines Lebens beschert. Normalerweise wurden die Crews der polnischen Fluglinie LOT, bei der er als Obersteward arbeitete, unbehelligt durch den Zoll und die Paßkontrolle geschleust. Diesmal waren sie durchsucht worden, wirklich durchsucht. Als der britische Zollbeamte, der ihn abfertigte, in seinem Waschbeutel zu graben anfing, wurde ihm beinah schlecht vor Angst. Als der Mann den Elektrorasierer hervorzog, den die SB-Leute ihm vor dem Abflug in Warschau gegeben hatten, wäre er fast in Ohnmacht gefallen. Glücklicherweise war es kein batteriebetriebener oder aufladbarer Apparat. Eine Steckdose war nicht vorhanden, so daß man ihn nicht in Betrieb setzen konnte. Der Beamte
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