Das vierte Protokoll
die Blätter vor Ihnen in der Hand gehabt hat. Aber nichts dergleichen. Sie sind mit einem Tuch abgewischt worden, bevor sie im Papierkorb landeten. Ich kann die Fasern sehen. Aber keine Abdrücke. Tut mir leid.«
Preston hatte ihm den Umschlag gar nicht erst gezeigt. Wer immer die Papiere abgewischt hatte, würde nicht seine Fingerabdrücke auf dem Umschlag hinterlassen. Außerdem würde der Umschlag verraten, daß die Geschichte von der schlampigen Bürokraft ein Schwindel war. Er nahm die zehn Geheimpapiere wieder an sich und ging. Capstick hat recht, dachte er. Es ist ein Leck, und zwar ein ganz übles. Es war drei Uhr nachmittags; er ging zurück in die Charles Street und wartete auf Sir Bernard. Sir Bernard hatte nach einigem Drängen erreicht, daß Sir Anthony Plumb, der Vorsitzende des Joint Intelligence Committee, des JIC, und Sir Peregrine Jones, beamteter Unterstaatssekretär im Verteidigungsministerium, sich mit ihm zum Lunch verabredeten. Sie trafen sich im Nebenzimmer eines Clubs in St. James. Die dringliche Bitte des Generaldirektors von »Fünf« gab den beiden hohen Beamten sehr zu denken, und zerstreut bestellten sie ihren Lunch. Als der Kellner gegangen war, berichtete Sir Bernard ihnen, was sich ereignet hatte. Es verdarb beiden Herren den Appetit.
»Wenn Capstick mir wenigstens ein Wort gesagt hätte«, murrte Sir Perry Jones leicht verstimmt. »Verdammter Schock, so aus heiterem Himmel.«
»Ich glaube«, sagte Sir Bernard, »daß mein Mitarbeiter Preston ihn gebeten hat, noch eine Weile Stillschweigen zu bewahren, denn wenn wir wirklich einen Agenten in der Spitze des Ministeriums haben, darf der nicht Wind kriegen, daß wir die Dokumente zurückerhalten haben.«
Sir Peregrine brummte ein wenig besänftigt.
»Was meinen Sie, Perry?« fragte Sir Anthony Plumb. »Irgendeine Möglichkeit, daß die Fotokopien ohne böse Absicht oder einfach durch Schlamperei außer Haus gelangt sind?«
Der Beamte des Verteidigungsministeriums schüttelte den Kopf.
»Die undichte Stelle muß nicht unbedingt sehr weit oben sein«, sagte er. »Jeder wichtige Mann hat seinen Kreis von Mitarbeitern. Es müssen Kopien gemacht werden - manchmal müssen drei oder vier Leute von einem Originaldokument Kenntnis erhalten. Aber alle Kopien werden in eine Liste eingetragen und später vernichtet. Drei Kopien angefertigt, drei Kopien nach Gebrauch vernichtet. Der Haken ist: Ein hoher Beamter kann nicht seinen ganzen Kram selber in den Reißwolf stopfen. Er läßt das von einem seiner Mitarbeiter erledigen. Natürlich sind alle sicherheitsüberprüft, aber kein System ist völlig lückenlos. Hier handelt es sich um Kopien, die im Lauf eines ganzen Monats zusammengekommen und aus dem Ministerium herausgeschafft worden sind. Das kann weder von ungefähr noch durch Nachlässigkeit passiert sein. Es muß Absicht dahinterstecken. Verdammt...«
Er legte Messer und Gabel auf seinen fast unberührten Teller.
»Tut mir leid, Tony, aber ich glaube, es ist oberfaul.«
Sir Tony Plumbs Miene war ernst.
»Ich werde wohl einen limitierten Unterausschuß des JIC bilden müssen«, sagte er. »Einen sehr limitierten, in diesem Stadium. Nur Innenministerium, Auswärtiges Amt, Verteidigung, den Cabinet Secretary, die Chefs von Fünf und Sechs und jemand von GCHQ. Noch kleiner geht's nicht.«
Man kam überein, daß Sir Tony den Unterausschuß für den nächsten Vormittag einberufen und daß Hemmings ihn über Prestons etwaige Erfolge bei Scotland Yard informieren würde. Damit trennten sie sich.
Der komplette JIC ist ein ziemlich großer Ausschuß. Nicht nur ein halbes Dutzend Ministerien und mehrere Behörden sind darin vertreten, die drei Teilstreitkräfte und die beiden Nachrichtendienste, sondern auch die in London stationierten Vertreter Kanadas, Australiens, Neuseelands und natürlich die amerikanische CIA.
Plenarsitzungen sind eher selten und verlaufen ziemlich steif. In der Regel werden limitierte Unterausschüsse gebildet. Dort werden ganz bestimmte Probleme behandelt, und die Mitglieder kennen einander meist persönlich und können in kürzerer Zeit mehr Arbeit erledigen.
Der Unterausschuß, den Sir Anthony Plumb in seiner Eigenschaft als Koordinator der Nachrichtendienste am Vormittag des 21. Januar einberufen hatte, erhielt den Codenamen Paragon. Die Sitzung begann um zehn Uhr im Konferenzzimmer des Cabinet Office, dem Cabinet Office Briefing Room, kurz COBRA genannt. Der Raum liegt im zweiten Stock des Cabinet Office in
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