Das vierte Protokoll
verteilt.
Das Erste Hauptdirektorat hat seinen Sitz in Jasjenewo am äußeren Umgehungsring im Süden. Der größte Teil der Dienststellen befindet sich in einem modernen siebengeschossigen Bau aus Aluminium und Glas, dessen Grundriß einen dreizackigen Stern bildet, ähnlich dem Markenzeichen von Mercedes.
Das Gebäude wurde von finnischen Vertragsarbeitern errichtet und war für die Internationale Abteilung des Zentralkomitees gedacht. Aber als es fertig war, gefiel es den Leuten von der I. A. nicht; sie wollten näher am Stadtzentrum bleiben, und daher übernahm das Erste Hauptdirektorat die Räume. Für diese Organisation ist die Lage am Rande der Stadt und fern von spähenden Augen geradezu ideal.
Die Mitarbeiter des Ersten Hauptdirektorats arbeiten offiziell sogar im eigenen Land »im Untergrund«. Da viele von ihnen, angeblich als Diplomaten, ins Ausland geschickt werden (oder bereits dort leben), liegt ihnen nicht daran, daß ein vorwitziger Tourist sie aus dem Ersten Hauptdirektorat herauskommen sieht und sie vielleicht heimlich fotografiert.
Ein Direktorat jedoch gibt es, das so geheim ist, daß es nicht wie die übrigen in Jasjenewo stationiert ist. Das Direktorat S, auch das Illegalendirektorat genannt, ist Top Secret. Seine Agenten kommen niemals mit ihren Kollegen vom Ersten Hauptdirektorat, ja nicht einmal unter sich zusammen. Die Ausbildung und Instruktion dieser Männer geht unter vier Augen vor sich, das heißt, ein Ausbilder hat jeweils nur einen einzigen Schüler. Sie kommen auch nicht jeden Morgen in ein bestimmtes Büro, da sie auf diese Weise einander kennenlernen könnten.
Der Grund für diese Vorsichtsmaßnahmen ist in der sowjetischen Psyche zu suchen: Die Russen leiden an Verfolgungswahn, was Geheimhaltung und Verrat angeht - übrigens keine Erfindung des Kommunismus, dieser Wahn stammt noch aus der Zarenzeit. Die Illegalen - Männer und gelegentlich auch Frauen - werden darauf gedrillt, ins Ausland zu gehen und dort unter einer hieb- und stichfesten Legende zu leben.
Dennoch ist es vorgekommen, daß Illegale enttarnt worden sind und mit dem Gegner zusammengearbeitet haben; andere sind übergelaufen und haben alles ausgepackt, was sie wußten. Daher ist es umso besser, je weniger sie wissen. Was man nicht weiß, oder wen man nicht kennt, kann man nicht verraten.
Dies ist auch der Grund, warum die Illegalen in Dutzenden kleiner Wohnungen im Stadtkern von Moskau untergebracht werden und nur zum Training und zur Instruktion in Erscheinung treten. Um seinen »Jungens« nah zu sein, hat der Chef von Direktorat S immer noch sein Büro in der Zentrale am Dscherchinskij-Platz, in der sechsten Etage, drei Stockwerke über dem Vorsitzenden Schebrikow und zwei über dessen ersten Stellvertretern, den Generalen Tsinew und Kryutschow.
Dieses unfromme Allerheiligste betraten am Mittwoch, dem 18. März - während Preston in Durban mit Levinson sprach -, zwei Männer, um mit dem Chef der Illegalen zu reden, einem bärbeißigen alten Militär, der sein ganzes Leben als verdeckter Spion verbracht hatte. Was die Männer ihm zu sagen hatten, hörte er gar nicht gern.
»Es gibt nur einen einzigen Mann, dem dieser Schuh paßt«, gab er brummig zu. »Er ist ein As.«
Einer der Männer vom Zentralkomitee zückte eine kleine Karte.
»Dann, Genosse Generalmajor, werden Sie ihn mit sofortiger Wirkung vom Dienst befreien; er soll sich bei dieser Adresse melden.«
Der Direktor nickte verdrossen. Er kannte die Adresse. Als die Männer gegangen waren, ließ er sich ihren Auftrag noch einmal durch den Kopf gehen. Ja, der Befehl kam vom Zentralkomitee, und wenn davon auch nicht ausdrücklich die Rede gewesen war, so bestand kein Zweifel, wer soviel Gewalt besaß, um einen solchen Auftrag zu erteilen. Der Generalmajor seufzte resigniert. Es war hart, einen der besten Männer, die er jemals ausgebildet hatte, verlieren zu müssen, einen wirklich erstklassigen Agenten. Aber gegen diesen Befehl gab es keine Einwände. Der Direktor war Offizier im Dienst; und Befehl ist Befehl. Er drückte auf den Knopf der Sprechanlage.
»Major Valeri Petrofsky soll sich bei mir melden«, sagte er.
Die erste Maschine aus Johannesburg landete pünktlich in East London auf dem kleinen sauberen, blauweißen Ben- Schoeman-Flugplatz, der Südafrikas viertgrößten Handelshafen mit der Welt verbindet.
Der Polizeifahrer wartete schon in der Halle und führte die beiden Männer zu einer neutralen Ford-Limousine auf dem
Weitere Kostenlose Bücher