Das vierte Protokoll
den Rangierbahnhof gekommen. Dann hat Joe ihn auf der Rangierlok mitfahren lassen. War damals für einen Jungen ein Mordsspaß.«
»Das wäre dann Mitte oder Ende der Dreißiger gewesen?« fragte Preston. Der alte Mann nickte.
»So ungefähr. Joe und die Familie waren noch nicht lang hier.«
»Ungefähr 1943 ist Frikki eingerückt«, sagte Preston. Papa Fourie starrte ihn lange aus wäßrigen Augen an, die versuchten, über mehr als fünfzig Jahre eines ereignislosen Lebens zurückzublicken.
»Ja, stimmt«, sagte er. »Der Junge is nie zurückgekommen. Es hat geheißen, er is irgendwo in Deutschland gestorben. Hat Joe das Herz gebrochen. Der Junge war sein ein und alles, hat Großes mit ihm vorgehabt. Er war nie mehr der alte, seit dieses Telegramm gekommen is. 1950 is er gestorben, vor Kummer, glaub' ich immer noch. Seine Frau nich lang nach ihm, paar Jahre vielleicht.«
»Sie sagten vorhin >Joe und die Familie waren noch nicht lang hier<«, schaltete Viljoen sich ein. »Aus welchem Teil Südafrikas sind sie gekommen?«
Papa Fourie sah ihn verständnislos an.
»Sie sind überhaupt nich aus Südafrika gekommen«, sagte er.
»Aber sie waren Afrikaander«, beharrte Viljoen.
»Wer hat Ihnen das gesagt?«
»Die Army«, sagte Viljoen. Der alte Mann grinste.
»Kann mir vorstellen, daß unser Frikki bei der Army gesagt hat, er is Afrikaander«, sagte er. »Nein, sie sind aus Deutschland gekommen. Einwanderer. So Mitte der Dreißiger. Joe hat bis zu seinem Tod nie richtig Afrikaans gelernt. Der Junge natürlich schon. In der Schule.«
Als sie wieder im Wagen saßen, wandte Viljoen sich Preston zu und fragte: »Well?«
»Wo werden die Unterlagen über die Einwanderer in Südafrika aufbewahrt?«
»Im Souterrain des Union Building, im Staatsarchiv«, sagte Viljoen.
»Könnten die Archivare für mich nachsehen, während wir hier warten?« fragte Preston.
»Klar. Wir fahren zum Polizeipräsidium. Von dort aus können wir leichter telefonieren.«
Das Polizeipräsidium ist ebenfalls in der Fleet Street, eine dreistöckige Festung aus gelben Ziegeln mit undurchsichtigen Fenstern, direkt neben der Exerzierhalle der Kaffraria-Schützen. Preston und Viljoen brachten ihr Anliegen vor und gingen zum Lunch in die Kantine, während in Pretoria ein Archivar um seine Pause kam, weil er die Akten durchsehen mußte. Glücklicherweise waren sie alle im Jahr 1987 bereits elektronisch gespeichert, und der Computer gab die Aktennummer im Handumdrehen aus. Der Archivar holte die Akte, tippte ein Resümee und gab es sofort über Telex weiter.
Das Telex kam in East London an, als Preston und Viljoen beim Kaffee saßen. Viljoen übersetzte es Wort für Wort.
»Du meine Güte«, sagte er, als er fertig war, »wer hätte je an so was gedacht?«
Preston dachte eine Weile nach. Dann stand er auf, durchquerte die Kantine und sprach mit dem Fahrer, der an einem anderen Tisch saß.
»Gibt es in East London eine Synagoge?«
»Ja, Sir. An der Park Avenue. Zwei Minuten von hier.«
Die weißgetünchte Synagoge mit der schwarzen Kuppel und dem Davidstern obenauf war am Donnerstagnachmittag leer bis auf einen farbigen Hausmeister, der einen alten Soldatenmantel und eine Wollmütze trug. Er gab ihnen die Adresse von Rabbi Blum, im Vorort Salbourne. Kurz nach fünfzehn Uhr klopften sie an seine Tür.
Der Rabbi war ein kräftiger bärtiger Mittfünfziger mit eisgrauem Haar.
Ein Blick genügte; er war zu jung. Preston stellte sich vor.
»Können Sie mir bitte sagen, wer Ihr Vorgänger war?«
»Gewiß, Rabbi Shapiro.«
»Und wissen Sie, ob er noch lebt und wo er wohnt?«
»Kommen Sie doch herein«, sagte Rabbi Blum.
Er führte Preston ins Haus, einen Korridor entlang, und öffnete eine Tür. Der Raum war ein Wohn-Schlafzimmer. Vor einem Gaskamin saß ein alter Mann und nippte an einer Tasse schwarzem Tee.
»Onkel Solomon, dieser Herr möchte Euch sprechen«, sagte er.
Eine Stunde später verließ Preston das Haus und setzte sich zu Viljoen, der im Wagen gewartet hatte.
»Zum Flugplatz«, wies Preston den Fahrer an. Zu Viljoen sagte er:
»Könnten Sie dafür sorgen, daß ich morgen vormittag General Pienaar sprechen kann?«
An diesem Nachmittag wurden zwei weitere Männer von ihren Posten in der Sowjetarmee zur besonderen Verwendung abgestellt.
Ungefähr hundertsechzig Kilometer westlich von Moskau, ein wenig abseits der Straße nach Minsk, befindet sich mitten im Wald eine Anzahl Parabolantennen nebst dazugehörigen Gebäuden. Es
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