Das vierte Protokoll
erinnern. Läßt sich feststellen, wer damals in diesem Block war?«
In Südafrika gibt es keinen Verband ehemaliger Kriegsgefangener, aber es gibt einen Veteranenverein, dem nur aktive Feldzugsteilnehmer angehören. Die Vereinslokale werden »Granattrichter« genannt, und Preston und Viljoen fingen an, jeden Granattrichter in Südafrika anzurufen und zu fragen, ob man einen ehemaligen Gefangenen vom Stalag 344 kenne.
Es war eine mühsame Sache. Die meisten der elftausend in diesem Lager gefangenen Soldaten waren Engländer, Kanadier, Australier, Neuseeländer oder Amerikaner gewesen. Die Südafrikaner bildeten eine kleine Minderheit. Zudem waren in der langen Zwischenzeit viele gestorben. Von den noch Lebenden waren die einen gerade auf dem Golfplatz, die anderen verreist. Die Fragesteller ernteten freundliche Absagen und eine Menge gutgemeinter Ratschläge, die sich alle als Nieten erwiesen. Am Spätnachmittag machten sie Schluß und begannen am Montag früh von neuem. Kurz vor Mittag konnte Viljoen einen ersten Erfolg verzeichnen. Er hatte einen ehemaligen Fleischpacker in Kapstadt an der Strippe. Viljoen, der afrikaans gesprochen hatte, legte die Hand über die Sprechmuschel.
»Der Alte sagt, er sei in Stalag 344 gewesen.«
Preston nahm den Hörer.
»Mr. Anderson? Ja, mein Name ist Preston. Ich stelle Nachforschungen über Stalag 344 an.. Vielen Dank, sehr liebenswürdig... Ja, ich glaube, daß Sie dort waren. Erinnern Sie sich noch an Weihnachten 1944? Als zwei junge Afrikaander beim Außeneinsatz geflüchtet sind... Ah, Sie wissen es noch. Ja, ich kann mir denken, daß es sehr schlimm war... Erinnern Sie sich noch an die Namen? Ah, Sie waren nicht in derselben Unterkunft? Nein, ganz klar. Wissen Sie vielleicht noch, wie der ranghöchste südafrikanische Gefangene hieß? Aha, Unteroffizier Roberts. Und der Vorname?... Bitte, denken Sie nach. Wie? Wally. Das wissen Sie genau? Danke, Sie haben mir sehr geholfen.«
Preston legte den Hörer auf.
»Unteroffizier Wally Roberts. Vermutlich Walter Roberts. Können wir ins Militärarchiv gehen?«
Das südafrikanische Militärarchiv untersteht, aus welchem Grund auch immer, dem Erziehungsministerium und befindet sich in Pretoria, Visagie Street 20. Es waren mehr als hundert Roberts aufgeführt, bei neunzehn davon stand als Vorname nur W., sieben hießen Walter. Keiner paßte. Die beiden Männer gingen alle W. Roberts durch. Nichts. Preston fing nun systematisch mit A. Roberts an, und nach einer Stunde wurde er fündig. James Walter Roberts war im Zweiten Weltkrieg Offiziersanwärter gewesen, bei Tobruk in Gefangenschaft geraten und in Lagern in Nordafrika, Italien und schließlich in Ostdeutschland gewesen.
Er war auch nach dem Krieg beim Militär geblieben, hatte es bis zum Oberst gebracht und war 1972 pensioniert worden.
»Beten Sie, daß er noch lebt«, sagte Viljoen.
»In diesem Fall bezieht er Pension«, sagte Preston, »und ist bei der Pensionskasse bekannt.«
Was er auch war. Oberst a. D. Wally Roberts verbrachte seinen Lebensabend in Orangeville, einer von Seen und Wäldern umgebenen Kleinstadt, hundertsechzig Kilometer südlich von Johannesburg.
Es war schon dunkel, als Preston und Viljoen aus dem Archiv kamen. Sie beschlossen, am nächsten Morgen nach Orangeville zu fahren.
Mrs. Roberts öffnete die Tür des hübschen Bungalows und geriet beim Anblick von Captain Viljoens Dienstausweis in gelinde Aufregung.
»Er ist unten am See und füttert die Vögel«, sagte sie und wies ihnen den Weg. Sie fanden den alten Krieger, wie er einem dankbaren Schwärm von Wasservögeln Brotbröckchen hinstreute. Als die beiden Männer auf ihn zutraten, richtete er sich auf und prüfte Viljoens Ausweis. Dann nickte er, als wolle er sagen: weitermachen.
Er war in den Siebzigern, hielt sich gerade wie ein Ladestock, trug einen Tweedanzug, blankgeputzte braune Schuhe und einen weißen Bürstenschnurrbart auf der Oberlippe. Er hörte sich Prestons Frage mit ernster Miene an.
»Natürlich erinnere ich mich. Wurde vor den deutschen Kommandanten zitiert, der eine Stinkwut hatte. Hat der ganzen Baracke wegen dieser Geschichte die Rotkreuzpakete gestrichen. Verdammte junge Narren; am 22. Januar 1945 wurden wir weiter nach Westen verlegt und Ende April befreit.«
»Erinnern Sie sich noch an die Namen?« fragte Preston.
»Natürlich. Vergesse nie einen Namen. Beide sehr jung, noch keine zwanzig, würde ich sagen. Einer hieß Marais, der andere Brandt. Beide Afrikaander. An
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