Das vierte Skalpell
erklären, warum. Wenn ich ihr Typ war, dann konnte er
es nicht sein.
Dagegen begann mir sein ewiges Gemecker
auf die Nerven zu gehen. Wenn er schon hinter Evelyn herrannte, sollte er
wenigstens mich in Ruhe lassen. Es kostete mich jedesmal mehr Anstrengungen,
ruhig zu bleiben, und Anstrengung habe ich nie sehr geschätzt. War ungefähr
vorauszusehen, wann mir der Kragen platzen würde.
Wie alles in dieser Geschichte kam es
plötzlicher, als ich erwartet hatte.
Am Vormittag des 14. Februar - es war
ein Montag, und vor allen Montagen in meinem Leben vergesse ich den am
wenigsten — hatte sich Steimle wieder wegen irgendeiner Kleinigkeit aufgepumpt.
Als er raus war, steckte Evelyn die Zunge in Richtung Tür.
»Altes Ekel!«
Ich wandte mich zum Fenster und starrte
in den Schnee.
»Na, Sie können sich doch nicht
beklagen«, sagte ich wütend.,
Sie kam heran, faßte mich am Arm und
drehte mich sachte herum.
»Ich kann doch nichts dafür«, sagte sie
leise wie ein Beichtkind. Ich sah ihre Augen und ihre Flaumfederhaare, und mein
Ärger schwand, als wäre er nie gewesen. Am liebsten hätte ich sie an mich
gezogen, aber davon stand nichts in der Dienstordnung.
»Ich weiß«, sagte ich. »Wie lange macht
er das schon?«
»So lange, wie ich hier bin«,
antwortete sie. »Über ein Jahr.«
»Er wird bald um Ihre Hand anhalten«,
sagte ich. »Laden Sie mich zur Hochzeit ein? Meinen Typ von Tischdame kennen
Sie ja.«
Sie verzog das Gesicht. »Ich mag ihn
nicht.«
Ich freute mich ungeheuer.
»Wenn das so ist, Evelyn«, sagte ich,
»will ich gern weiter die Blitze ableiten.«
Die Gelegenheit dazu kam sehr schnell.
Kurz vor dem Mittagessen wurde ich
wegen meines Anstellungsvertrages zur Verwaltung gerufen. Evelyn machte allein
weiter.
Am Nachmittag bekamen wir noch einen
Haufen von Leuten, die sich über das Wochenende beim Skilaufen die Knochen verbogen
hatten. Wir schlugen uns bis fünf Uhr damit herum. Dann rauchten wir die erste
Zigarette.
Ich sagte: »Am besten, wir diktieren
heute noch, was trocken ist. Sonst kommen wir morgen zu sehr ins Gedränge.
Haben Sie Lust? «
Evelyn saß auf dem Aufnahmetisch und
baumelte mit den Beinen. »Lust habe ich ja nicht, aber ich seh’s ein.«
Wir schnappten uns die trockenen Filme
und fuhren runter ins Archiv. Da war es still und friedlich, und es kam nicht
alle fünf Minuten einer und wollte was.
Ich hatte den dritten Fall vor dem
Leuchtschirm hängen, als das Telefon klingelte. Ich nahm den Hörer.
»Röntgenarchiv, Doktor Thomsen.«
»Steimle.« Er sprach so laut, daß
Evelyn an der Schreibmaschine seinen Namen verstand. Sie schwang mit dem
Drehschemel langsam zu mir herum.
»Der Patient Windecker — Kniegelenke —,
haben Sie die Aufnahmen gesehen?«
»Kann mich im Augenblick nicht
erinnern«, sagte ich.
Seine Stimme kam laut und wütend.
»Die Seitenaufnahmen sind miserabel!
Total verkantet! Die Condylen stehen meilenweit auseinander! Wie konnte so was
durchgehen?«
Meine Handflächen wurden feucht.
»Es ist möglich, daß ich den Patienten
nicht gesehen habe«, sagte ich. »Bin mal weggerufen worden...«
Er fing an zu schimpfen.
Evelyn hörte es und machte beschwörende
Gesten.
»Sie sind verantwortlich für die
Aufnahme! Kümmern Sie sich gefälligst darum, wenn Sie dem Knochenraum zugeteilt
sind! Sonst sind Sie dort überflüssig!«
Zuviel Geduld ist Feigheit, hatte mein
Vater immer gesagt. Der Bart war ab.
»Sie brauchen nicht so zu schreien,
Herr Oberarzt«, sagte ich mit Salmiakstimme. »Ich verstehe Sie auch so.«
Evelyn erbleichte und machte entsetzte
Augen.
Einen Augenblick hörte ich nur das
Geräusch seines Atems in der Muschel.
»Sie sind im Archiv?« fragte er scharf.
»Ja.«
»Warten Sie, bis ich komme!« Klack.
Ich legte den Hörer langsam zurück und
sah zu Evelyn hin.
»Gleich kriegen wir Besuch«, sagte ich.
»Pudern Sie sich die Nase.«
»Was hatte er denn?«
»Irgendein paar verdammte Kniegelenke.
Windecker. Wissen Sie was davon?«
Sie wühlte in unserem Haufen herum.
»Hier — da ist der Zettel — Windecker —
mein Gott, die habe ich gemacht, als Sie nicht da waren. Ich wollte sie
wiederholen, aber der Mann hatte es eilig, und es war so viel los...« Ihre
Stimme wurde immer zaghafter.
»Wollen Sie nicht so lange
verschwinden?« sagte ich, nicht ohne den Hintergedanken, vor ihr den edlen
Ritter zu spielen. »Ihnen tut er sowieso nichts. Sie hören bloß, wie wir uns
anbelfern.«
»Kommt nicht in Frage! Es ist
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