Das vierte Skalpell
Gedanken beschäftigt. Dann fiel mir ein, was Ruschke am Morgen
gesagt hatte.
»Was war mit dem Skalpell?« fragte ich.
Ruschke atmete tief. »Stammt aus unsere
Bestände«, sagte er. »De heilije Rudolfina aus ‘n OP hat et mir anvertraut. Und
noch wat. Et fehlen noch zwee andere von’t jleiche Kaliber.«
Ich goß abwesend Bier nach. »Noch
zwei?«
»Ja. Der Kommissar hat ihr det von
unsern Alten unta de Neese gehaltn. Da hat se nachjesehn un’ rausjefunden, det
ihr noch zwee von ihr’n Tafelaluminium abjehn.«
Drei Skalpelle. Zwei hatten sich
gefunden. Wo würde das dritte auftauchen!
»Möchte bloß wissen, wer det Ding
jedreht hat«, fuhr Ruschke fort. »Kann sich nur um een’ fortjeschrittenen
Wahnsinnijen handeln.« —
»So wahnsinnig ist er gar nicht«, sagte
ich. »Er hatte Vernunft genug, sich zwischen die Doppeltür zum Hauptgang zu
klemmen, als ich hinter ihm her wollte.«
Ruschke machte große Augen. »Tatsache?«
»Tatsache. Nogees fand es heraus. Ist
auch die einzige Möglichkeit. Hätte ihn sonst auf dem Flur sehen müssen.« Ich
erzählte ihm, wie mein Auftritt verlaufen war.
»Wäre ich bloß eher auf die Idee
gekommen! Dann hätte ich die Tür zur Mehring abgeschlossen und auf dem Korridor
vor der anderen gewartet. Da hätte er nur noch aus dem Fenster springen
können.«
»Ohne Fallschirm schlecht«, sagte
Ruschke.
Das Bier versiegte, und ich holte neue
Flaschen. Ruschke trank und schwieg.
Ich sagte: »Kommt doch nur jemand aus
dem Haus in Frage. Ein Fremder wäre nicht an die Skalpelle rangekommen und
nicht so leicht zum Chef rein und wieder raus. Muß jemand sein, der genau in
der Bude Bescheid weiß. Und ein eiskalter Hund dazu.«
Ein paar Minuten fiel kein Wort.
»Der Indiana wird sich anstrengen
müssen«, sagte Ruschke endlich. »Hat er’n Verdacht jehabt?«
Ich schüttelte den Kopf. »Habe nichts
vernommen. Sie?«
»Ooch nich. Er wollte nur wissen, wo
ick mir ‘rumjetrieben habe, als et passierte. Und denn...« Er stockte. Ich
blieb still, trank und wartete.
Ruschke beugte sich leicht vor. »Hat er
Sie ooch nach Wildbolz jefragt?«
Ich hielt mein Gesicht ruhig und
überlegte schnell. Immer wieder tauchte dieser Name auf, als sollte ich ihn
niemals vergessen. Konnte ich Ruschke erzählen? Nein. Ich hatte es Nogees
versprochen. Aber erfahren konnte ich vielleicht was. Gut, daß er angefangen
hatte.
»Wildbolz? Nein. Wer ist das?«
Ruschke fiel wieder zurück. »Niemand
von Bedeutung. War ‘n Famulus bei uns. Letzten Sommahat er sein Jastspiel jejeben.«
»So«, sagte ich: »Hat Nogees den
vielleicht in Verdacht?«
»Keene Ahnung. Sah nich’ wie ‘n
Messaheld aus. War ‘n bisken mickrich uff de Brust.« Er grinste. »Deswejen hat’n
ooch Evelyn nich anjekiekt.«
Das konnte mich nicht mehr überraschen.
Aber ich tat so.
»Evelyn?«
»Sicher. Er is hinta ihr herjerannt wie
‘n Parteibonze hinta dg Wähler. Kam aba nich an.«
»Soll vorkommen«, sagte ich möglichst
gleichgültig. »Vielleicht war die Konkurrenz zu groß.«
»Det ooch«, sagte Ruschke breit. »Jibt
noch mehr, die det süße Kind jerne sehen.«
Jetzt war ich wirklich neugierig. »Ach,
wer denn?«
Ruschkes Mund reichte von einem Ohr bis
zum anderen.
»Na, wat unsa vaehrta Obaarzt Steimle
is’«, sagte er sarkastisch, »der kommt nicht nur wejen de miesen Uffnahmen so
oft runta. Un’ der kleene Wildbolz hatte nischt zu lachen, als Steimle ihn ‘n
paarmal jeortet hatte, wie er Evelyn von de Arbeet abhielt.«
»Ach, so war das«, sagte ich, mehr für
mich.
»Ja, so war det.« Ruschkes Kopf kam
wieder näher. »Un’wenyi Sie zu freundlich zu dem Mädchen sind, wird et Ihn’
jenauso jehn!«
XI
Schon wenige Tage nach Ruschkes Besuch sah
ich, daß er recht gehabt hatte.
Steimle kam öfter als nötig. Er gab
überflüssige Anweisungen und bemängelte unerhebliche Fehler. Jetzt, wo ich
aufpaßte, spürte ich auch, daß er auf Evelyn scharf war. Er begrüßte sie wie
ein spanischer Herzog die Infantin. An mich wandte er sich nur, wenn ihm etwas
nicht gefiel. Wenn er mit ihr redete, war er wie verwandelt.
Also er war mein Konkurrent. Ohne den
guten Ruschke wäre ich nicht so schnell dahintergekommen. Einen anderen hätte
das vielleicht gewurmt, und es hatte Fälle gegeben, in denen ich bei solcher
Art von Mitarbeit ziemlich sauer geworden war. Aber hier war es anders. Ich
fühlte mich irgendwie sicher. Ich wußte, daß Steimle bei Evelyn keine Chancen
hatte. Es ließ sich nicht
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