Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das vierte Skalpell

Das vierte Skalpell

Titel: Das vierte Skalpell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Gruhl
Vom Netzwerk:
meine
Schuld, und ich sage es ihm! Warum mußten Sie auch so mit ihm reden!«
    »Hab’ mir’s lange genug verkniffen«,
sagte ich.
    »Er kann Sie rausschmeißen, wissen Sie
das? Hat er schon mal gemacht.«
    »Er kann mich sonst was«, sagte ich
böse. »Wären Sie traurig?«
    Sie schielte mich von der Seite an und
nickte.
    Es vergingen fünf Minuten, ohne daß
etwas geschah.
    Ich fingerte meine Zigaretten aus der
Tasche und steckte sie wieder weg. Im Filmarchiv war Rauchen verboten.
    »Der hohe Herr nimmt sich Zeit«, sagte
ich. »Läßt uns erst ein bißchen im eigenen Saft kochen. Machen wir inzwischen
weiter. Vom Hinstarren wird der Haufen nicht kleiner.«
    Meine Uhr zeigte ein Viertel vor
sieben, als ich den letzten Befund unterschrieb. Steimle war nicht gekommen.
    »Unverschämt ist das von ihm«, sagte
Evelyn.
    »Sie können wohl nicht erwarten, bis er
mich auseinandernimmt. Passen Sie auf, Evelyn. Ich gehe rauf und erledige das.
Hauen Sie inzwischen ab.« Sie war eigensinnig.
    »Nein! Ich will ihm sagen, daß ich die
Bilder geliefert habe!«
    »Es geht jetzt gar nicht mehr um die
Bilder«, sagte ich. »Es geht um das Telefonat. Da können Sie nichts dran tun.
Seien Sie schön brav und verschwinden Sie.«
    Ich stand auf und streckte die Hand
aus. Sie nahm sie nicht.
    »Dann warte ich, bis Sie zurück sind.«
    »Das wiederum ist prima«, sagte ich und
ging durch den Raum und hinaus.
     
     
     

XII
     
    Der Paternoster kletterte lautlos. Im
Hause war es still geworden. Die Geräusche erstarben mehr und mehr, und die
Gänge, an denen ich vorbeikam, lagen verlassen. Es roch nach Abendbrot.
    Ich ging den Flur hinunter, vorbei an
vielen Türen und an den Zimmern von Stickhahn, in denen die Mehring jetzt
allein herrschte. Sie sah immer leidend aus und trug Schwarz.
    Vor Steimles Tür verhielt ich einen
Augenblick. Auf in den Kampf, Torero! Was würde herauskommen? Er würde eine
Rede halten, und ich würde mich entschuldigen. Weiter nichts. Wie meistens in
diesen Fällen.
    Ich klopfte eine Weile, ehe mir die
Doppeltür einfiel. Es erfolgte auch nichts, als ich es innen probierte.
    Ich weiß nicht, ob es an den zwei Toten
in meinem Bewußtsein lag oder an der Nähe des Raums, in dem ich den zweiten
gefunden hatte. Eine seltsame Unruhe erfaßte mich. Warum war Steimle nicht nach
unten gekommen? Warum antwortete er jetzt nicht? Warum fehlten drei Skalpelle?
Noch ein Toter, und du bist reif fürs Irrenhaus.
    Blödsinn, dachte ich im gleichen
Moment. Er ist nicht da, das ist alles. Aber wissen muß ich es.
    Ich klinkte vorsichtig auf. Die Tür
öffnete sich lautlos. Ein Blick beruhigte mein laut klopfendes Herz. Das Zimmer
war leer.
    Ich stieß die Luft durch die Zähne und
schloß die Tür. Wo konnte er sein? Zu blöd war das. Jetzt war ich einmal darauf
eingestellt, den Kram hinter mich zu bringen.
    Unschlüssig schlenderte ich den Gang
zurück. Blieb nichts anderes übrig, als wieder runterzufahren. Ich konnte es
noch mal per Telefon versuchen. Aber dann war Schluß. Vielleicht stand er auch
schon zähnefletschend unten.
    Dr. Melchior von der Chirurgie
begegnete mir.
    »‘n Abend, Herr Melchior«, sagte ich.
»Sie wissen nicht, wo Oberarzt Steimle sein könnte?«
    Er grinste verbindlich. »Leider nicht.
Versuchen Sie es doch mal im Kasino.«
    »Schönen Dank«, sagte ich.
    Eine Kabine des Paternosters verschwand
gerade nach unten, als ich ankam. Ich wippte auf den Zehenspitzen und wartete.
    Im nächsten Augenblick passierte es.
     
    *
     
    Durch den Schacht des Aufzuges, wie von
weit unter der Erde, aber klar und deutlich hörbar, kam ein Schrei. Voller
Angst und Entsetzen. Es war die Stimme einer Frau.
    Es war Evelyns Stimme. Mir zog es alles
Blut ins Herz hinein. Im ersten Moment wollte ich zur Treppe und hinunter, um
mich zu bewegen und irgend etwas zu tun. Dann ließ ich es. Der Paternoster war
schneller. Ich sprang in die Kabine, als sie noch weit über dem Boden des Flurs
stand.
    Ich weiß heute noch nicht, wie lange
ein Paternoster vom dritten Stock in den Keller braucht. Aber während dieser
Zeit bekam ich eine Ahnung vom Fegefeuer oder so was Ähnlichem. Während die
Kabine unendlich langsam abwärts glitt, schossen mir hundert Gedanken durch den
Kopf.
    Evelyn!
    Warum hatte sie geschrien? Was war im
Keller los?
    Jetzt erst bemerkte ich, wie ich sie
liebte. Hier, in diesen muffigen eineinhalb Quadratmetern kapierte ich es, wo
es vielleicht schon zu spät war. Lieber Gott, laß ihr nichts passiert

Weitere Kostenlose Bücher