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Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition)

Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition)

Titel: Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shani Boianjiu
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Einsatzzentrale. Seltsamerweise war Lea betrunken netter als nüchtern und fragte sich, ob die in ihrer Bemerkung mitschwingende Grausamkeit eine Methode des Babys war, ihr zu sagen, dass es von Pfirsichschnaps nicht viel hielt.
    »Ich habe eine Ärztin«, sagte Avishag. Lea und Avishag hatten am wenigsten Kontakt gehabt, obwohl Yael ja im Ausland gewesen war, aber seit Avishag Lea erzählt hatte, dass sie Antidepressiva nahm, waren die beiden zerstritten gewesen. Nach dem Militärdienst hatten sie sich wieder angefreundet, weil Avishag Lea brauchte, und Lea hatte Avishag genau gesagt, was sie tun sollte, um ihre Traurigkeit zu bekämpfen. Lea war am Ende enttäuscht, weil Avishag eine Lösung fand, die nichts mit ihr zu tun hatte.
    Yael dachte, sie müsste etwas sagen, merkte dann aber, dass sie immer das Gefühl hatte, sie müsste etwas sagen. Also schwieg sie. Sie durchstöberte den Raum, und unter leeren Pizzakartons und Pornoheften fand sie die Schachtel des Computerspiels. Es nannte sich Human Engineering INC 2. Auf der Rückseite las sie:

Dieses Spiel besteht aus einer Reihe mathematischer Rätsel, die gelöst werden müssen, oder aber unerträgliche Schmerzen und der Tod sind die Folge. Der Spieler, Many, befolgt die Anweisungen eines Cyberintellektuellen namens GOD-DOS (Genom-Organisations-Designer für Domain-Operations-Software) und führt Tests im Anreicherungszentrum von Human Engineering INC durch, wofür er Tiefkühlpizza erhält, wenn das Testobjekt nach Abschluss der Testreihen noch lebt und über Geschmacksknospen und ein Gesicht verfügt.

    Die weibliche Automatenstimme sprach in einer Endlosschleife. Yael schloss die Augen und hörte zu. »Das Anreicherungszentrum muss dich bedauerlicherweise darüber in Kenntnis setzen, dass die nächste Aufgabe unlösbar ist. Versuch nicht, es doch zu schaffen« und »Dieser Teil des Spiels war, ehrlich gesagt, ein Fehler. Ich an deiner Stelle würde mich lieber gleich umbringen. Genau das, was laut deiner Subjektakte 3288 deine leibliche Mutter vorhatte, als sie dich am Abend nach dem Wurstfestival mit dem Wurf in den Müllcontainer zur Adoption freigab.«
    Yael drückte erst einen Knopf am Joystick und dann alle auf einmal. Lea trank schneller. Avishag starrte ins Leere. Yael war froh, dass sie in diesem heiklen Augenblick etwas zu tun hatte. Schließlich sprang der Spieler am Bildschirm über die Lava. Die Frauenstimme wurde lauter: »Super gemacht! Du hast in einem bedrückenden und negativen Umfeld die Hoffnung nicht verloren und dein Ziel weiter verfolgt. Du solltest wirklich ein Aktivist werden und Sklaven befreien.«
    Die nächste Spielphase fand in einer Verbrennungsanlage für schlecht verkabelte Kampfandroiden statt. Sie wurden auf einem Fließband in die Flammen befördert und murmelten wie Kleinkinder: »Ich bin schlecht verkabelt. Ich bin nur im Weg. Danke, dass du mir ein Ende machst und zum Gedeihen des Anreicherungszentrums beiträgst!« Nur einer der Androiden wiederholte immer wieder leise: »Ich bin gut verkabelt. Ich bin anders«, bis er dann in Flammen aufging. Yael fragte sich, wie der Amerikaner wohl aussah, der sich das Spiel ausgedacht hatte. Dann fragte sie sich, wer das wohl spielte. Und dann, wer wohl alles die Kammer gesehen hatte.
    »Hört mal, Mädels«, sagte sie in Richtung der Sonnenstrahlen, die in den Erholungsraum fielen. »Hört mal, Mädels« – wieder diese Wendung, genau wie die unzähligen Male in ihrer Kindheit und Jugend.
    »Oh nein«, sagte Lea. »Wenn sie das sagt, ist das immer ein schlechtes Zeichen.«
    Avishag war froh, dass Lea wieder sprach. Sie lächelte, und ihre Zähne blitzten auf.
    »Sie werden uns alle umbringen. Die Jungen. Das ist ihr Spiel«, sagte sie und zeigte auf den Bildschirm.
    »Oh nein, Avishag!« rief Lea. »Yael hält sich wieder für den Propheten Jona!« Sie sprach über Yael, als wäre sie nicht im selben Raum.
    Avishag lachte und nahm Yaels Gesicht in die Hände. »Yael. Du bist nicht Jona. Das haben wir schon in der vierten Klasse besprochen. Und dann noch mal in der siebten.«
    Yael hatte das Gefühl, sie könne Avishags Stimme einatmen. Der Klang dieser Stimme hatte ihr gefehlt, die konkrete Stimme mit ihrem Spritzer unbehandelten Zynismus. »Das weiß ich doch«, sagte Yael. In diesem Augenblick wurde alles wieder ein bisschen gut.
    »Du bist auch keine Jeanne d’Arc«, sagte Lea.
    »Und erst recht keine Magd aus Lothringen. Ich hab’ die Mails gesehen, die du aus Paris geschickt

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