Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition)
hast. Wie war das? Vier Männer an einem Wochenende?«, sagte Avishag, und da mussten die drei so lachen, dass jeder, der zufällig in der Nähe gewesen wäre, einen Traktor mit Schluckauf vermutet hätte.
Lea konnte sich als Erste wieder beruhigen. »Okay, vergessen wir jetzt mal, dass sich Yael einen besseren Produktionsplan für Bruce Willis’ Armageddon ausmalen könnte, ich möchte vor allem noch sagen, dass es mir leidtut, Avishag. Das mit deinen Tabletten, das geht mich nichts an.«
Avishag nahm Lea die Flasche aus der Hand. Sie schüttete sich den Schnaps in den Mund, stockte kurz und schluckte. Dann lachte sie. Ein Lachen, das wie ein Jojo abfiel und wieder anstieg. So machte sie das. So fing sie an zu weinen.
»Du hast ja recht, Lea. Sie wollten, dass ich zur Armee gehe, also geh’ ich zur Armee. Dann kommen mir all diese Gedanken, und die Gedanken stören alle, also wollen sie, dass ich Tabletten nehme. Dann findet die Mutter von einem Pfadfinder raus, dass ich Tabletten nehme, und jetzt wollen sie mich feuern lassen. Dann muss ich wieder zu meiner Mutter ziehen, die immer noch mit ihrer Mutter zusammenwohnt. Mit diesen Leuten hat man keine Chance.«
Seit der Offizierin im Tränengaszelt hatte niemand Avishag so lange reden hören. Sie sprach, als würde sie eine Dose mit den Zähnen aufmachen.
»Wer sind ›diese Leute‹?«, fragte Yael.
»Alle außer mir«, sagte Avishag.
Lea legte Avishag sacht die Hand aufs Knie. Yael ging durch den Kopf, dass sie sich als Einzige nicht verändert hatte; die beiden anderen schon, aber sie hatte das Gefühl, immer noch sie selbst zu sein.
»Das ist nicht nur bei dir so«, sagte Lea. »Ich hab’ mit diesen Leuten auch keine Chance. Rons Sandwichläden laufen prima. Aber trotzdem können wir in Tel Aviv keine Wohnung finden, die für Kinder genug Platz bieten würde. Die Nachfrage ist so groß – es gibt einfach nichts.«
Beide sahen Yael an. Erst dachte sie, sie erwarteten Rat von ihr, aber dann sah sie den peinlich berührten Zug um Leas Mundwinkel. Sie sahen Yael an wie eine Fremde.
»Seht mich nicht so an. Draußen in der Welt ist es auch nicht besser. Egal, wo du hinkommst, entweder fahren keine Züge, oder man beschwert sich über den Lärm. Auf den Hauptstraßen stehen Streifenwagen auf den Gehwegen, sodass du mitten durch den Verkehr gehen musst. Als wollten die, dass du überfahren wirst.«
Die beiden anderen sahen sie an, als gierte sie danach, in ihrer Clique mitzumachen. Bei Yael klang Verzweiflung einfach unecht.
»Aber klar, ich war noch nicht überall«, sagte Yael.
Und da atmeten sie alle aus.
Von da an waren die Kriegstage nett zu ihnen. Sie schauten den ganzen Tag Satellitenfernsehen. Aus den Häusern ihrer Eltern und ihren späteren Wohnungen kannten sie nur normales Kabelfernsehen, die neuen Sender waren also ein Segen. Sie guckten einen Gilmore Girls -Marathon und auf dem Discovery Channel einen Film über Honigdachse. Sie guckten eine Dokumentation namens Mein Auto ist mein Geliebter und auf dem Oldies-Kanal einen Marathon Harrys wundersames Strafgericht / Wer ist hier der Boss. Nachmittags holten Lea und Avishag mit dem Wagen Lebensmittel und Alkohol aus dem Araberstädtchen in der Nähe. Lea zahlte; sie holten Fusion Food: frittierte Zwiebeln, Münsterkäse und Basilikum auf allem, was sich aus einem Brot schneiden ließ.
Yael blieb auf dem Stützpunkt, wenn die beiden anderen einkaufen fuhren. Ihr war das nur recht. Das war wie Babysitting für die reichste Familie der Stadt, wenn die Kinder schon im Bett waren. Sie legte die Beine hoch und sah sich auf Kanal sechs, dem Kinderkanal, niedliche Serien an. Bully the Snowman , Wonder Shoes und Chiquititas. Die Lieder umgaben sie, als wären die Noten mit Wasser auf die Wände gemalt. Am besten gefiel ihr das Titellied des Senders zwischen den Serien. »Der Kanal ist mein Zuhause! Diesen Sommer entert der Flieger den Kinderkanal! Wissenschaft! Kunst! Horrorgeschichten!« Sie atmete, als würde sie in diesen Stunden gar nichts denken. Sie war Herrscher über einen Bereich, der nicht ihr Eigen war. Wenn sie die Augen schloss, dröhnte das Lied wie Trompeten. »Der Nationalkanal ist der beste Ort! Damit kann ich alles, und er ist immer bei mir!« Wenn Yael weinte, dann weil ihr jetzt erst aufging, warum es letztlich doch gut sein konnte, für sein Land zu sterben.
In diesen Tagen waren die Frauen glücklich.
Nach zwei Wochen kamen die Jungen auf den Stützpunkt zurück. Shai
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