Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition)
Mann blieben trotzdem tot, und ich blieb ihre Mörderin. Schlimmer noch, ich war immer noch ich und hatte nichts und niemanden. Als wir in Ägypten ankamen, war unser Schleuser ganz panisch, weil gerade erst zwei Transporter mit illegalen Flüchtlingen hochgenommen worden waren, und sie hatten nicht nur die Illegalen umgebracht; sie hatten auch die Beduinen-Schleuser umgebracht. Aber wir wurden ohne Zwischenfälle durchgelassen. Danach wurde alles dunkler, und sogar noch viel dunkler.
Person A
Nach der zweiten Tablette habe ich ein paar Stunden lang das Gefühl, ich muss sterben, weiß aber, dass das nicht passieren wird. Mein Bauch schmerzt von außen, als würde ein Schlagzeuger mit bloßen Händen darauf herumtrommeln. Ich krümme mich zusammen, halte aber den Hals gerade, weil ich weiß, dass sie mich anschreien, wenn ich nicht auf den Monitor sehe. In den achtzehn Jahren meines Lebens gab es Situationen, in denen ich geglaubt habe, ich würde sterben, aber dann habe ich weitergelebt, immer weiter. Als ich vor zwei Monaten hier stationiert wurde und meine erste Schicht vor dem grünen Monitor hatte, hielt ich vier Stunden lang durch, dann war ich überzeugt, ich würde sterben. Überall um mich herum saßen Mädchen, die auf ihren Zaunabschnitt starrten, und ich konnte nicht begreifen, wie sie das zwölf Stunden lang durchhielten, und dann wieder, und dann noch einmal und immer so weiter. Die ganze Zeit dachte ich, dass das nun für die nächsten vier Monate mein Leben war, bis ich einem der Checkpoints oder Wachtürme zugewiesen würde, bis ich »der Einheit unterstellt« würde, wie Nadav es nannte, dabei wusste ich noch nicht mal, wie ich die nächste Stunde überleben sollte. Die grünen Pixel verschwammen. Ich fing an zu schielen. Ich zählte leise bis tausend, noch mal und noch mal. Dann wollte ich sterben, oder mir nach der Schicht zumindest in den Fuß schießen, damit sie mich aus der Armee entlassen mussten. Ich überlegte, in welchen Fuß ich mir schießen sollte, den rechten oder den linken, und das war ziemlich lustig und half mir, die Zeit rumzukriegen, und in dem Moment, als ich grinste, sah ich sie. Zwischen den Pixeln. Statische weiße Striche formten menschliche Körper, Hunderte von Miniatur-Menschen, meine Menschen, die Menschen, die es nicht gibt. Ich sah diese Menschen nicht zum ersten Mal, aber das letzte Mal war sechs Jahre her, da war ich zwölf, und da hatte ich das letzte Mal Läuse. Mit acht hatte ich das erste Mal Läuse, und ich dachte, ich würde sterben, aber ich starb nicht. Ich kratzte mir mit dem Bleistift ganz fest den Kopf, und als ich den Bleistift ansah, war er voller Läuse und Blut. Das würde mich nicht umbringen, dachte ich, und erzählte es trotzdem meiner Mutter, und dann schmierte sie mir mit einem Kamm Brennspiritus überall ins Haar und zwang mich, mit einem Tuch um den Kopf Fernsehen zu schauen. Die Läuse flohen aus meinen Haaren, als kämen sie aus einer Gaskammer. Ich spürte sie davonspringen und sah sie überall auf meinem Oberkörper herumkrabbeln, ein Strom runder Körper mit winzigen Beinen. Auch da dachte ich, das würde mich nicht umbringen. Es war super cool. Aber dann sagte meine Mutter, wir müssten auch die Nissen entfernen. Ich musste stundenlang in der Dusche stehen, und sie fuhr mir mit einem Nissenkamm durch die Haare. Sie redete auch mit mir, und das hasste ich am meisten, weil sie zu der Zeit sehr gestresst davon war, Mutter von drei Kindern zu sein, Jugendliche in Geschichte zu unterrichten und keinen Ehemann zu haben, also dachte sie sich, sie würde die Zeit effizient nutzen und mir einen Vortrag darüber halten, dass ich das Geschirr nie in die Spüle stellte, meinen Rucksack immer am Eingang liegen ließe, Dreck ins Haus schleppte und dass all diese Dinge sie fertigmachten, und sie einfach hoffte, ich hätte später eine Tochter, die genauso wäre wie ich, damit ich endlich verstehen würde, was für ein Miststück ich wäre. Ich hätte nicht gedacht, dass mich irgendwas davon umbringen würde, aber ich hasse Schimpfwörter, ich hasse sie jetzt und habe sie auch gehasst, als ich klein war, und jedes Mal, wenn sie eins verwendete, fühlte es sich an, als ob ich einen Knoten im Hals hätte, und als sie die Nissen rausmachte, verwendete sie viele Schimpfwörter. Sie brauchte vier Jahre, um die Läuse endgültig loszuwerden, und am Anfang musste ich jedes Mal im Bad stehen, und jedes Mal, wenn sie mich mit Schimpfwörtern bombardierte, dachte
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