Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition)
ich, ich müsste sterben – bis ich sie erfand, die Menschen, die es nicht gibt. Sie bestanden aus den braunen Punkten auf den weißen Bodenfliesen im Bad.
Person B
Ich bin mit Geschichten von Menschen aufgewachsen, die die Schleuser zurückgelassen oder vergewaltigt und auf halber Strecke dem Tod überlassen hatten, aber die zwanzig Leute aus meiner Gruppe wurden in Ägypten eingeladen, sich ein paar Tage auf einem Weinberg bei der echten Frau des Beduinen auszuruhen. Die Ehefrau hatte viele Falten, konnte aber lesen und las auch jede Nacht im Koran; und ich konnte nicht lesen, und mir kam der Gedanke, dass ich es nie lernen würde, und ich dachte, selbst wenn ich es lernen würde, wäre ich nie sehr gut darin, und außerdem hatte ich schon achtzehn Jahre verpasst, was sollte das also bringen? Wieder konnte ich die enttäuschten Schnalzlaute meiner Mutter hören, das »Nicht gut, das ist nicht gut«-Geflüster. Ich hatte noch nie auch nur ähnliche Gedanken gehabt; diese Gedanken waren in meinem Kopf, aber sie waren nicht meine eigenen. Ich verstand, dass sie mit Magie zu tun haben mussten, dass es Magie gab, und dass sie böse war. Die Magie wurde immer stärker. Der Beduine und seine Frau behandelten uns sehr freundlich, vor allem mich; morgens lächelten sie wie Kinder, und die Frau nahm mich auf einen Spaziergang durch den Weinberg mit, und dann kam mir der Gedanke, dass ich nie so freundlich sein würde, weder zu Fremden noch zu irgendwem in der Welt, dass mein Herz schwarz wie Kohle war, wie das von einer Hexe, war das nicht eine Schande? Und gab es denn nichts in der Welt, das daran etwas hätte ändern können? Wir liefen an den Weinreben entlang, und für einen kurzen Augenblick, zum ersten Mal, seit ich das Lager verlassen hatte, war alles gut, alles war echt und frei von Magie. Ich hatte noch nie Weintrauben gesehen. Ich beugte mich zu den grünen Blättern und starrte eine Weintraube an, nur eine einzelne. Sie war rund, und sie war grün und so friedlich, dass ich neidisch wurde. Die Haut war sehr glatt und schimmerte in der Sonne, sodass man lang gezogene Linien sah, Linien voller Geheimnisse, und Fruchtfleisch und Würde. Ich berührt sie sanft. Und auf einmal war das Schnalzen wieder da. Das »Nicht gut«-Geflüster. Als mir der Gedanke kam, wusste ich, ich hatte verloren; egal, was noch passierte, egal, was ich tun würde, alles war umsonst – ich konnte nie eine Weintraube sein, niemals, auch in einer Million Jahren nicht.
Person A
Das Spiel, das ich mit den Menschen spiele, die es nicht gibt, habe ich erfunden, als ich acht war und Läuse hatte; ich tat immer so, als ob die Punkte auf den Fliesen des Badezimmerbodens Menschen wären. Jetzt tue ich so, als ob ich zwischen den Pixeln auf dem grünen Monitor Menschen sehe, und mit denen spiele ich die ganze Schicht über. Ich merke nicht einmal, wie die zwölf Stunden vergehen. Wenn meine Schicht vorbei ist, vermisse ich die Menschen sogar. Das Spiel geht folgendermaßen: Ich tue so, als ob eine Gruppe Pixel auf dem Monitor in Wahrheit eine Gruppe Menschen ist. Manchmal sind sie in einem Land. Manchmal sind sie im luftleeren Raum. Andere Male sind sie einfach in einem riesigen Zimmer. Aber das ist nicht so wichtig. Dann spiele ich, dass ich über sie herrsche und die besondere Ansage mache, also, dass einer von ihnen als besonderer Mensch auserwählt worden ist, weil er unter allen hervorsticht. Mal kann dieser Mensch sehr gut singen, dann ist er der klügste Mensch, der je geboren wurde, und dann wieder ist er der freundlichste Mensch auf der ganzen Welt. Aber dieser Mensch, immer ein Mädchen, weiß nicht, dass er etwas Besonderes ist. Sie glaubt, ein Niemand zu sein. Meist ist sie einfach das kleinste Pixel, das eine Pixel am Monitorrand, und wenn ich ihr sage, wer sie eigentlich ist, dann freut sie sich so sehr, dass sie ihr Herz auf der Zunge schmecken kann. Das hätte sie sich nie träumen lassen. Dann fängt das Spiel mit einer anderen Gruppe Pixel wieder von vorn an, vielleicht die Pixel unter der umgestürzten Weide oder die ganz unten. Das Spiel wird nie langweilig, weil mein Gedächtnis mittlerweile so im Eimer ist, dass ich die Menschen sofort vergesse, sobald eine Runde vorbei ist. Ich vergesse auch echte Sachen wie die ganzen Spiele, die Yael und ich in der Schule gespielt haben, meine Lieblingsserien, den Klang von Dans Stimme, den Geburtstag meiner Mutter und wer ich bin. Nadav sagt, das geht vielen Monitor-Soldaten so und das
Weitere Kostenlose Bücher