Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition)
dem israelischen Gefängnis rauszuholen, und dass sie eine starke Frau war, und dann erinnerte ich mich, dass ich sie mir ausgedacht, dass ich sie erfunden hatte, und dass ich eine Soldatin war und sie nicht echt.
In dieser Nacht konnte ich hören, wie sich die äthiopischen und marokkanischen Mädchen unter dem Vordach vorm Container unterhielten.
Als ich ungeduscht im Bett lag, hörte ich sie sagen, dass Yanivs Hals von dem Messer, mit dem der Palästinenser ihn umgebracht hatte, fast durchtrennt worden war, ich hatte wohl an sein Gesicht und die abstehenden buschigen Augenbrauen gedacht und mich gefragt, was sie mit »durchtrennt« gemeint hatten, schlief aber schon vorher ein. Ich schlief ein, ohne an irgendwas zu denken. Es war leicht. Alles ist möglich, wenn man nicht aufgibt.
Menschen, die es nicht gibt
Person A
Die Leiche des Sudanesen ist immer noch am Stacheldrahtzaun aufgespießt. Nadav sagt, die ägyptischen Soldaten und wir, die israelischen Soldaten, würden uns wie zwei Kinder an einem Hafenbecken verhalten, von denen jedes darauf wartet, dass das andere ins Wasser springt und behauptet, die Leiche gehöre ihm. Ein Arm des Sudanesen liegt wie bei einem Kraulzug über dem Kopf, die Zunge hängt raus. Er sieht aus wie ein in der Bewegung erstarrter Schwimmer. Nadav sagt, ich wäre ein besonderes Mädchen. Er sagt, »Avishag, du denkst nur an dich.« Ich war nicht im Dienst, als die Ägypter den Mann erschossen haben. Wenn ich dann im Dienst bin, starre ich zwölf Stunden lang den Zaun auf dem Monitor an und denke an Menschen, die es nicht gibt. Die erfundenen Menschen und ich, wir kennen uns gut. Aber Nadav sagt, das wäre das Gegenteil davon, sich für einen anderen Menschen zu interessieren. Mit dem Humvee fahren wir den Zaun ab, weil Nadav Offizier ist und nach den älteren Mädchen an den Wachtürmen und Checkpoints sehen muss. Die Wachsoldatin am Tor zum Stützpunkt fragt nach meinem Soldatenausweis, und ich zeige ihr, dass ich einen Urlaubstag genehmigt bekommen habe. Das war gar nicht so leicht, weil nie genug Mädchen auf dem Stützpunkt waren, Mädchen, die nach der Grundausbildung vier Monate lang Monitor-Mädchen sein und ununterbrochen auf Monitore starren mussten. Bevor wir am Busbahnhof ankommen, frage ich, ob das was Schlechtes ist, wenn man nur an sich denkt. Nadav hat vergessen, dass er das mal zu mir gesagt hat. Er sagt, dass alle von der Idee überzeugt sind, dass sie nicht authentisch sind, wenn diese oder jene Person anders ist als sie, und ich bin der einzige Mensch auf der Welt, der nicht von dieser Idee überzeugt ist, weil ich nur an mich selbst denke. Ich habe keine Ahnung, was das heißen soll. Ich habe keine Ahnung, ob das gut oder schlecht ist. Ich will einen Burger. Nein, zwei.
Person B
Als alles vorbei ist und ich in Sicherheit bin, öffne ich die Augen, und jeder kann sehen, dass ich noch am Leben bin. Ich bin das einzige Mädchen in einem Krankenzimmer voller verwundeter Männer, die auch aus meinem Land kommen. Sie sind still, aber ich schreie, weil ich schreien kann, und weil ich Wasser will. Die Ärztin aus dem kleinen Land kommt rüber und stellt mir eine Frage in der Sprache des kleinen Landes, und der Übersetzer übersetzt. Die Ärztin will wissen, wie ich aus dem Sudan geflohen bin. Sie will wissen, was ich mir dabei gedacht habe. Sie gibt mir Wasser in einer Tasse. Sie meint, erklärt der Übersetzer, was ich mir dabei gedacht habe, als ich mich in den Zaun aus kleinen Messern geschmissen habe. Ich will der Ärztin sagen, dass ich mir gar nichts dabei gedacht habe. Dass es nicht meine Entscheidung war. Ich habe sie gefühlt. Sie war da. Mama. Mama. Mama. Eine Million Mal und noch mal und ein weiteres Mal und mehr. Sie war alles auf einmal, ein Riese und ein junges Mädchen, eine Weintraube und der Wind. Sie war da, und dann war sie nicht mehr da. Der Schleuser, der uns aus Ägypten rausbrachte, sagte, in Israel, in dem kleinen Land, würden sie nicht an Magie glauben, sondern an Menschen. Glaubt in dem kleinen Land an das, woran sie glauben, tut, was sie tun.
Person A
Am Busbahnhof will Nadav sich zwei Burger holen, aber er sagt, ich kriege nur einen. Er sagt, ich würde nie zwei Burger schaffen. Ich sage, das stimmt nicht, aber es stimmt. Ich sage, diesmal esse ich beide. Ich frage im Spaß, »und was, wenn ich für zwei esse?« Er zieht eine Augenbraue hoch und überrascht mich. Er sagt, »Avishag, komm, wir behalten es. Wir ziehen es auf einer
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