Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition)
liegt an der Arbeit. Nadav glaubt, dass ich wahnsinnig geworden bin, er findet mich zu ruhig, zu selbstzufrieden. Er hat mich gefragt, was ich von den ganzen Sudanesen halte, die über die ägyptisch-israelische Grenze kommen, und ich hab gesagt, sie lenken mich nur von meinen Spielen mit den erfundenen Menschen ab, denn wenn sie über meinen Zaunabschnitt kommen, muss ich es über Funk melden, und es kann sehr ablenken, wenn auf sie geschossen wird, selbst dann, wenn sie nicht sterben. Die Antwort hat Nadav wütend gemacht, darum hab ich gedacht, ich würde vielleicht antizionistisch klingen, und hab noch gesagt, »aber natürlich finde ich auch, dass die Ägypter Tiere sind«. Nadav hat daraufhin gesagt, dass ich naiv bin. Er hat gesagt, dass wir die Sudanesen nicht erschießen können, weil wir dann schlecht dastehen, dass wir sie aber auch nicht hier haben wollen, weil wir ihnen dann Jobs geben müssen, und weil sie Krankheiten einschleppen und der Judenanteil im Land dann sinkt. Also lassen wir stattdessen die Ägypter auf sie schießen, weil es den Ägyptern egal ist, ob sie schlecht dastehen, weil die Welt sie sowieso für die Bösen hält, ihnen aber vergibt, weil sie Araber sind. Ich konnte seiner Erklärung nicht ganz folgen, fixierte lieber das Weiße in seinen Augen und stellte mir ein Zimmer mit erfundenen Menschen vor. Und da hat er gesagt, ich würde nur an mich denken. Ich konnte nicht gewinnen. Aber damals war mir das nicht so wichtig. Jetzt schon. Mein Magen zieht sich zusammen, als wollte er sich zwischen meine Beine schieben, und meine Augen zucken so sehr, dass alle erfundenen Menschen weg sind und ich nur noch den Zaun auf einem grünen Monitor sehe und dann den umgestürzten Baum, und meine Schicht geht noch acht Stunden. Die Leiche des Sudanesen ist noch immer am Zaun aufgespießt, genau am Rand, in der Ecke des Monitors, beschmutzt in der Ecke des Monitors.
Person B
In stockdunkler Nacht liefen wir in einer Reihe auf die israelisch-ägyptische Grenze zu, die Hand auf der Schulter des Vordermanns. Der Schleuser hatte uns vor einer Stunde verlassen und gesagt, wir sollten einfach weiter geradeaus laufen und zu Gott beten. Ich wusste nicht, warum ich lief, aber ich wusste auch nicht, was ich sonst hätte tun sollen, also lief ich. Vor uns war eine Trauerweide, sie war umgefallen, aber die obere Hälfte war noch grün, wie sie da auf dem Boden lag. Die magiebesessenen Gedanken und das »Nicht gut«-Geflüster wurden mit jedem Schritt lauter. Ich versuchte, meine Beine zu überzeugen, wenigstens bis zum Baum zu kommen, dann würden wir weitersehen. Ich würde nie fliegen können wie ein Vogel, wozu also das alles? Schritt. Schnalzen. Nicht gut . Ich würde nie ein Mann sein können, wozu also das alles? Schritt. Schnalzen. Gar nicht gut. Nie wieder wäre ich ein Kind, wozu also? Schritt. Schnalzen. Nicht gut, sinnlos . Bei dem gefällten Baum angekommen, sagte ich meinen Beinen, jetzt müssten sie es nur noch bis zu dem Zaun da vorne schaffen, nur noch ein paar Schritte weiter. Aber es war zu spät. Das »Nicht gut«-Geflüster war bis zu meinen Sandalen vorgedrungen, und sie steckten im Sand fest. Ich blieb stehen. Die Frau hinter mir und der Mann vor mir sahen mich an, konnten aber nur meine Augen sehen, und man hatte uns geraten, still zu sein, wegen der Wachtürme, also liefen sie schnell weiter. Die Magie würde ich nie stoppen können, die Gedanken, was hatte das also noch für einen Sinn , dachte ich, und in dem Moment gingen die Scheinwerfer von den ägyptischen Türmen an, Türme, die wir überhaupt nicht gesehen hatten, die aber so nah waren, dass ich im Lichtgewitter den Lack abblättern sah, ich nahm abblätternden Lack wahr, Gewehrschüsse, Schreie und den Zaun vor mir; wir waren so nah dran und alle rannten, aber ich blieb stehen, bis mich etwas von hinten umstieß, eine Kugel, und mein Kopf wurde tief in den Zweigen des gefällten Baumes begraben, und dann wurden meine Gedanken und die Welt still und kalt, aber nur für einen kurzen Moment.
Person A
Alle sechs Stunden dürfen wir eine Pause machen, um aufs Klo zu gehen, und das ist gut, denn ich muss die Binde wechseln, und außerdem ist es gut, weil ich an Ort und Stelle beschließe, die Persönlichkeit zu wechseln. Und das hat nichts mit dem zu tun, was Nadav sagt. Was Nadav sagt, ist mir nicht wichtig, war es noch nie, denn er will trotzdem immer, dass ich abends zu ihm ins Zelt komme, ganz egal, was er vorher gesagt hat. Es
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