Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition)
aufmachte, war das Ziel weg. Ari war aus dem Graben geklettert. Er lag reglos dahinter.
Ich lief zu ihm rüber. Bei jedem Schritt hämmerte mein Herz wie wild vor Angst.
Schutzbrille und Helm hatte er noch auf. Als ich einen Schatten auf seinen Kopf warf, öffnete er die Augen. »Du hast mich umgebracht«, sagte er.
»Nein, habe ich nicht«, sagte ich. »Hätte aber passieren können! Warum hast du nicht gesagt, dass du rauskletterst?« Mein Herz schrie.
»Du hast mich umgebracht. Ich war so jung. Ich hätte mehr Sex haben sollen. Ich hätte den zweiten Burger essen sollen«, sagte er.
Ich wollte böse auf ihn sein, konnte es aber nicht. »Ich habe dich umgebracht«, sagte ich.
»Komm her«, sagte er. Er streckte die Arme aus, den Rücken weiter durchgestreckt.
Ich setzte mich auf seinen Bauch, ein Bein auf jeder Seite. Seine Hände packten meine. Meine Haare fielen auf seinen Hals.
Hagar hätte das anders gehandhabt, aber vor dem besagten Tag war ich neunzehneinhalb Jahre lang ein keineswegs schönes Mädchen gewesen, und ich hatte die letzten drei Monate an Ari gedacht, und irgendwie wusste ich, dass man sich einem Traum hingeben muss, wenn er wahr wird. Seltsam, aber ich wollte ihn um den Verstand reden. Ich hielt ihn für sehr klug. Ich wollte über Dinge reden, die Hagar gesagt hatte. Fragen stellen. Ich wollte sofort ALLES wissen.
»Glaubst du, dass sich nur Kerle das ALGL ausgedacht haben können?«
»Ich glaube, Amerikaner haben sich das ALGL ausgedacht.«
»Bist du Amerikaner?«
»Ich komme aus Neuseeland, sage aber immer Australien.«
»Glaubst du, sie foltern ihn? Den Soldaten, den sie in Gaza festgenommen haben?«
»Nein.«
»Lügst du mich an, weil ich ein Mädchen bin?«
»Nein. Er ist nur ein Panzer-Junge. Sie wissen, dass er kein Spion ist.«
»Lügst du mich an, weil ich ein Mädchen bin, das auf dir draufsitzt?«
»Nein. Es ist doch klar, dass er nur als Objekt für einen Tausch dient, und ein solcher Tausch läuft umso besser, je gesünder der Typ ist. Menschen foltern andere nicht einfach so, wenn sie nicht müssen. Das ist die Wirklichkeit.«
Ari löste die Hände aus meinen, um mich an den Armen zu packen und auszubalancieren. Wir spielten Wippe.
»Was war der glücklichste Moment in deinem Leben?«, fragte er. Das war eine Masche. Mir war’s egal. Ich beugte mich zu ihm runter und küsste ihn. Ich wollte sagen, »der hier«, aber das wäre zu kitschig gewesen. Ich wollte sagen, »genau jetzt«, aber das hätte nicht gestimmt.
Vom Schießstand aus machten Ari und ich einen langen Spaziergang. Letztlich landeten wir in dem Container, der als Lagerraum für Notfälle diente. Der, auf dem vorne »Grüne« stand. Er war genauso groß wie die Klassenzimmer aus meiner Kindheit, und die Decke war so weit weg, dass Ari sie selbst dann nicht berührt hätte, wenn er mit seinen langen Beinen so hoch wie nur irgendwie möglich gesprungen wäre. Drinnen gab es keine grünen Patronen. Da standen zwei Tische, die ich dem Unterrichtszimmer der Fährtenleser-Neulinge zuordnen konnte, und darauf lagen lilafarbene Laken und ein Kissen. Vor den Tischen stand auf Betonblöcken ein altes Funkgerät. Es wirkte fast wie ein Zimmer, in dem man wohnen konnte, wie ein Wohnzimmer, aber es war ein Container.
Wir saßen auf den Tischen vor dem Funkgerät.
»Warum sind hier keine Patronen?«
»Die Beschaffungsoffiziere sind faul geworden. Sie vergessen ständig, neue Patronen für die Trainingseinheiten zu bestellen, und es dauert ein paar Monate, Grüne zu bekommen, darum haben sie einfach das Notfalllager geplündert.«
»Und was ist, wenn es einen Notfall gibt?«
»Was denn für einen Notfall?«
»Keine Ahnung, Krieg zum Beispiel?«
»Es gibt keinen Krieg«, sagte er. Ich glaubte ihm. Draußen wurde es immer dunkler, aber im Container für die grünen Patronen machte Ari vier Taschenlampen mit roten Farbfiltern an.
Als wir in seinen lila Laken auf den Tischen lagen, legte ich ihm die Hand in den Nacken. Dann liebten wir uns eine Weile.
»Wahrscheinlich bringst du ständig Mädchen hierher«, sagte ich danach.
»Eigentlich nicht«, sagte er. »Du bist die Erste, die mir etwas bedeutet.« Ich glaubte ihm. Ich glaube es immer noch. Manchmal glaube ich Dinge, obwohl ich weiß, dass sie nicht stimmen.
Das hier stimmt: Mit dem Krieg hat er sich geirrt, denn es gab dann einen. Das kann man nachschlagen. Der zweite Libanonkrieg. 12. Juli 2006. Es ist Geschichte; es hätte auch sein können, dass
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