Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition)
hätten. Das ist eine historische Tatsache. Die Regierung gab das später in einem Bericht auch zu – der, in dem stand, dass wir auf diesen Krieg nicht vorbereitet gewesen waren.
Im ersten Moment, in der allerersten Sekunde, wollte ich Hagar anschreien, weil sie gelogen und mir nicht gesagt hatte, dass sie schon mit Ari im Bett gewesen war, für die Gemeinheit, mich in meiner Schwärmerei für ihn zu bestärken. Ich konnte es mir richtig vorstellen; ihre Hand um seinen Nacken, der sich anspannte. Ari.
Aber dann dachte ich einen Moment lang nur an Ari, Ari, wie er aus dem Graben kletterte.
»Du hast mich umgebracht«, hatte er gewitzelt. Er fand sich sehr witzig.
Und dann sah ich Hagars Angst, ihre geschlossenen Augen. Ich sah ein Mädchen, das zum ersten Mal im Leben Angst hatte, vielleicht nur ein bisschen, und vielleicht auch zum allerletzten Mal.
Ich atmete das Schießpulver ein, das wir alle an den Fingern hatten, und den Geruch der Feigenbäume auf unserem Stützpunkt. Und ich begriff, dass es Menschen gab, die für den Kampf lebten, für den Moment, bevor man gewann oder verlor. Menschen, denen diese Welt nicht genug war; sie wollten eiskaltes Wasser in den Adern, Schönheit um jeden Preis, Klettern aus Gräben unter Beschuss, explodierende Granatenhalsketten. Faszinierende Menschen, die sich noch nicht einmal vorstellen konnten, dass es Folter gab. Und ich schaute die vielen Männer auf dem Sand an. Jeder Einzelne hatte Schultern, die breiter waren als meine, aber ich wusste, dass sie ihnen in dem, was kommen würde, nichts nützen würden. Und da wusste ich: Ich war nie einer von diesen faszinierenden Menschen.
Teil II
Der diplomatische Zwischenfall
Als Erstes muss man wissen, dass Yael auf einem Übungsstützpunkt bei Hebron stationiert war, als es zu dem diplomatischen Zwischenfall kam. Lea war in der Offiziersausbildung. Beide hatten nichts damit zu tun. Avishag war an der Grenze zu Ägypten, als sich der Zwischenfall ereignete. In diesen Monaten schob sie Wachschichten vor dem Monitor, aber es ging ihr gut. Sie diente als normale Grenzsoldatin in der einzigen frauendominierten Infanterie-Einheit, als es passierte. Aber Avishag hat das Drehbuch der Ereignisse jenes Tages nicht geschrieben. Wir könnten Avishag die Schuld geben oder Israel oder Ägypten oder sogar Amerika, wenn uns danach wäre. Aber was hätten wir davon?
Als Zweites muss man wissen, dass der Infanterie-Offizier Nadav in Bezug auf uns keine Beschwerden vorzubringen hat. Gar keine. Er zeigt nicht mit dem Finger auf seine Freunde aus der Schulzeit oder auf seinen Vater oder auf die israelische Regierung oder auf irgendeine andere Regierung, wirklich, und es würde ihm nie in den Sinn kommen, dem »Krieg« die Schuld zu geben. Wenn Nadav mit irgendwem ein Problem hat, dann mit Gott. Als er sieben war oder vielleicht auch erst sechs, unterbrach er oft seine Hausaufgaben oder die Ninja Turtles im Fernsehen, stützte das kleine Kinn in die Kinderhände und sagte, »wenn ich mit irgendwem ein Problem habe, dann mit Gott.«
Das hat er wirklich gesagt. Ein Sechsjähriger! Er war sehr reif für sein Alter, unser Nadav, und absolut bezaubernd, auch bevor seine Mutter beim Bombenanschlag (dem von 1991, mit Afula Central; nicht dem ersten im Frühling) eines Selbstmordattentäters auf den Bus der Linie 5 starb. Und es waren die kleinen Sachen, über die sich Nadav gern aufregte. Zum Beispiel, wenn man in der Vorschule war, Geburtstag hatte und seine Eltern sowie einen Kuchen mitbringen sollte. Nadav hatte nur seinen Papa und der Kuchen war gekauft. Er musste vor der ganzen Klasse auf einem Stuhl sitzen, umgeben von Luftballons, und auf den Kuchen starren, der auf einem kleinen Tisch vor ihm aufgebaut war. Als er die Kerzen auspustete, mischte sich der Wachsgeruch mit dem Gummigeruch der Ballons und dem Geruch billiger Schokoladenglasur. Sein Papa, der rechts von ihm saß, versuchte sich so klein zu machen, dass er auf den hölzernen Kinderstuhl passte. Der Platz links von ihm war leer.
Nadav findet einfach, wenn man einen Plan macht, wo jedes Kind zwei Elternteile hat, und wenn man dann eine Welt erschafft, wo es überall ein Rechts und ein Links neben dem Kind gibt, ein Richtig und ein Falsch, ein Schwarz und ein Weiß, einen Stuhl und noch einen Stuhl, Vater und Mutter, eine Mutter, also, dass es dann einfach nicht fair ist, plötzlich nur zu einer bestimmten Person zu sagen, »tut mir leid, dich kriegen wir in dem Plan einfach nicht
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