Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition)
hat.«
»Sie ist zehn«, sage ich. »Sie ist eine sehr große Zehnjährige. Keine Ahnung, wo sie die Hose her hat.«
»Und die Stiefel?«
»Die hab ich bei Zara gekauft.«
»Du lügst.«
»Bei Zara London, ich schwör’s. Ich bin ein Schulmädchen, ich bin schon viel rumgekommen.«
»Ach, komm schon«, sagt der Militärpolizist. Ein bisschen wie eine Frau scharrt er mit den Stiefeln im Sand, obwohl er ein behaarter Mann ist. Er sieht aus, als würde er gleich ausrasten.
»Ich bin keine Soldatin«, sage ich. »Ich bin keine Soldatin.«
Ein paar Minuten lang streite ich weiter ab, was ich bin. Dann kommt der Bus.
Manchmal fällt mir etwas ein, und ich wundere mich, dass es mir nicht schon früher eingefallen ist. Manchmal erinnere ich mich an Sachen und bitte um Vergebung.
Ich steige in den Bus und tue so, als würde ich im Portemonnaie nach Geld suchen. Erst als die Tür zugeht, ziehe ich die Uniformbluse an, ohne sie zuzuknöpfen, und zeige dem Fahrer meinen Dienstausweis, mit dem ich die öffentlichen Verkehrsmittel kostenlos nutzen kann, wenn ich die Uniform anhabe.
Der Fahrer interessiert sich nicht für meine Uniformbluse oder die Knöpfe, nicht mal für die Straße. Er ist am Handy und winkt mich durch. Als der Bus losfährt, will ich dem Beamten winken, aber er ist nirgends mehr zu sehen.
Ich sitze am Fenster, zwei Reihen hinter dem Fahrer. Das rote Linoleum auf dem Boden im Bus platzt an den Nähten auf, und das Fenster ist voller Staub. Ich senke den Kopf, schließe die Augen und warte, dass der Bus in Azrieli ankommt. Ich warte auf das Ende des Wartens.
Bei mir ist alles immer ein Kampf. Warum? Es hätte keinen Unterschied gemacht, wenn ich wegen unangemessener Kleidung in der Öffentlichkeit oder wie die das nennen eine Verwarnung bekommen hätte. Überhaupt keinen Unterschied. Alles – Emuna, ich, das Leben, der Bus, Jona – hätte genauso weitergehämmert wie bisher.
An der nächsten Haltestelle steigt ein Selbstmordattentäter ein und setzt sich neben mich. Ich kann nicht beweisen, dass er einer ist, aber ich selbst bin überzeugt, dass es stimmt, also versuche ich, sicherzugehen. Das hat mir gerade noch gefehlt, dass ich hier aus einer Angstmücke einen Elefanten mache. Er sieht aus wie ein Mittfünfziger, an seinem Gang sieht man, dass er müde ist von der Banalität des Busses und diesem neuen Land.
Nachdem er sich hingesetzt hat, bewegt er sich vor und zurück. Der Rhythmus ist der eines Mannes, der die Welt aufgegeben hat, aus irgendeinem Grund aber trotzdem nervös ist. Die Sekunden sind so geladen, dass sogar seine Müdigkeit einen Grund findet, sich Sorgen zu machen. Er wartet, dass etwas Großes passiert, etwas, das alles für immer verändert.
Er stellt zwei große schwarze Plastikbeutel unter den Sitz. Aus dem Beutel neben mir guckt eine Tupperdose mit braunen Keksen raus, aber das könnte auch ein Täuschungsmanöver sein. Ein Mann wie der mit selbst gebackenen Keksen?
Wenn ich ihn nicht schon im Verdacht hätte, ein Selbstmordattentäter zu sein, würde ich ihn für einen Russen halten. Irgendwie hat das mit den eng zusammenstehenden Augen zu tun und mit dem merkwürdigen grauen Hut, einem Hut, der in diesem Land fremd wirkt. Aber ich bin mir fast sicher, dass er Araber ist: der Akzent, als er sich hinsetzt und etwas in meine Richtung nuschelt, die tief liegenden Augen und die vergilbte Haut. Und er sieht aus wie ein Selbstmordattentäter.
Obwohl Sommer ist, trägt er eine lange Hose, einen dicken Pullover und oben drüber ein Jackett. Die Kleidung war irgendwann mal schön, jetzt ist sie abgetragen.
Ich stehe ruckartig auf und schaue mich um, aber im ganzen Bus gibt es keinen einzigen freien Platz, und von den anderen Fahrgästen scheint keiner alarmiert zu sein. Sie alle lehnen die Köpfe an staubige Fensterscheiben, tippen auf ihren Handys rum oder starren geradeaus.
Als der Bus in einen Tunnel fährt, fängt der Mann an zu singen. Ich weiß, was gleich passiert. Solche Geschichten habe ich schon oft in den Nachrichten gehört: Die Frau, die es wusste, aber nichts sagte und dann ein Ohr verlor. Der Junge, der seiner Mutter per SMS geschrieben hatte, er hätte Angst, und dann tot war. Der Busfahrer, der es die ganze Zeit gewusst, aber gedacht hatte, er könnte rechts ranfahren und die Polizei anrufen, bevor irgendwas passieren würde; der Busfahrer, der Angst hatte, alles nur noch schlimmer zu machen, wenn er etwas unternähme.
Der Mann singt weiter. Erst versteh
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