Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition)
Sie sagte, »Yael, du willst sehr viele Sachen.« Aber sie sagte, sie würde kommen. Eigentlich sehe ich sie jeden Monat an meinen freien Tagen, und ich sagte, das wäre dann jetzt fast ein Monat und eine Woche.
Das mit meiner kranken Mutter war gelogen, und ich habe kein Problem damit, hier ohne Uniform zu stehen, zumal ich ganz allein bin. Das Hemd, das Barett und die grüne Offiziersbinde stopfe ich einfach in den JanSport-Rucksack.
Ich sitze mit gesenktem Kopf im Sand, schließe die Augen und warte auf das Ende des Wartens. Es fühlt sich an wie eine Auszeit von der Sonne und dem Bumm Bumm Bumm des Tages, als ob ein unsichtbarer Baum oder viel eher eine Wolke es sich über mir gemütlich gemacht hätte.
Aber als ich aufschaue, sehe ich, dass es keine Wolke ist, sondern ein Mensch – ein Beamter der Militärpolizei –, der sich über mir aufbaut. Er hat das blaue Barett der Militärpolizei auf dem Kopf und ein Notizbuch in der Hand. Er hat es sich nicht gemütlich gemacht. Er sieht mich angestrengt an, ohne zu blinzeln, damit ich weiß, dass ich in Schwierigkeiten bin.
Ich senke den Kopf, schließe die Augen und warte auf das Ende des Wartens.
Ich erinnere mich an schreckliche Momente, aber auch an alltägliche.
Als ich in der siebten Klasse war, fuhr meine Mutter meine Schwester und mich zur Schule, und unser Auto war genau hinter Emunas Auto. Hinter uns stand das Auto von Avishags Mutter. Ich drehte mich um und sah Dan auf dem Beifahrersitz. Ich weiß noch, dass ich an dem Morgen aufgewacht war und dachte, dass mein Traum mir wehgetan hatte, aber ich wollte in ihn zurück und noch etwas sagen. Meine Augen waren ausgetrocknet und wütend. Ich zog meine Dr. Martens und meine Schlaghose an. In dem Jahr hatten wir alle Dr. Martens und Schlaghosen an. Meine Stiefel waren blau, Emunas auch.
Ich konnte die zu einem Dutt hochgesteckten blonden Haare von Emunas Mutter sehen und wie Emuna an dem roten Ärmel ihres Pullis kaute. Ich hatte noch den Geschmack der heißen Schokolade im Mund, die ich ein paar Minuten zuvor getrunken hatte. Draußen regnete es auf die Bananenfelder, und durch mein halb runtergekurbeltes Fenster sah ich die Bananen und die Erde. Das Radio knackte; es lief ein altes Lied, ein Lied über ein Mädchen mit Haaren wie schwarzes Gold.
»Es regnet«, sagte meine Mutter. »Mach das Fenster zu.« Obwohl unser Dorf am Ende der Welt lag, gab es um diese Uhrzeit immer Stau auf der Straße, die zur Schule führte. Das war, bevor sie die Schulbusse einführten. Mir gefiel das damals. Ich schaute gern auf die Autos vor uns, vor allem wenn ich die Leute kannte, die drin saßen, und fühlte mich als Glied in dieser Kette, als Note in diesem Takt.
»Mach das Fenster zu«, sagte meine Mutter. Ich saß hinten und sie drehte sich zu mir um. »Es regnet.«
In der Schule liefen Emuna und ich zusammen durch das kaputte Tor; mitten hinein in das Neonlicht, den stechenden Geruch, das Geplapper und die Flure mit Linoleumböden. Die Mädchen schwirrten alle um meinen Platz herum, als wir uns hinsetzten, und ich nahm die Bibel-Hausaufgaben aus der JanSport-Tasche. In dem Jahr hatten wir alle Jan-Sport-Taschen. Meine war schwarz; Emunas war lila und gelb kariert. Sie war das Mädchen, das in dem Jahr, als Avishag und ich nach dem Streit wegen meiner Schwärmerei für Dan nicht mehr miteinander redeten, eingewilligt hatte, neben mir zu sitzen.
Wir behandelten im zweiten Jahr in Folge das Buch Jona. Die Lehrerin war neu und wusste nicht, dass wir das Buch Jona schon im Jahr davor durchgenommen hatten.
Die Hausaufgaben waren beim zweiten Mal noch demütigender. Ich hatte in der Nacht geträumt, dass Jona zu mir sagte, »Du hast geglaubt, du könntest entkommen? Du dummes Mädchen.« Das sagte er, während er selbst im Bauch eines Walfischs gefangen war, weil er wie ein Hirnamputierter, der die Gesetze der Bibel nicht kennt und nicht weiß, wie alle Geschichten ausgehen, versuchte, vor Gott zu fliehen.
Wir mussten Sätze vervollständigen, indem wir links aufgelistete Satzanfänge – Jona machte sich auf nach … Gott befahl einem Fisch, Jona zu verschlingen, weil … Gott ließ Jonas Rizinusstaude verdorren, weil … – den rechts aufgelisteten Satzenden zuordneten, indem wir sie mit einem Strich verbanden.
»Sie lässt euch alle abschreiben, aber ich darf zuerst, also hört auf zu drängeln«, sagte Emuna zu den Mädchen.
»Ich habe das ganze Wochenende an dich gedacht«, sagte ich damals zu ihr.
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