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Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition)

Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition)

Titel: Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shani Boianjiu
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die Armee an jedem der Checkpoints alle einhundert Kilometer vier Soldaten plus befehlshabendem Offizier, und so hatte sie auf einmal das Kommando über vier Soldaten, die an einem stets menschenleeren Checkpoint tagsüber abwechselnd Wache schoben. Sollte nach all der Zeit also doch noch jemand dort vorbeikommen, so würde es eine Person geben, die sagen konnte, »tut mir leid, die Straße ist gesperrt«. Das hatte wenig mit ihrer Anfangszeit an einem der riesigen Checkpoints zu tun, und fast nichts mit dem, was sie war. Wäre ihre Dienstzeit nicht sowieso in ein paar Wochen vorbei gewesen, hätte sie dieser Posten wütend gemacht.
    Sie verbrachte den ganzen Tag im Bett mit einem Vorbereitungsbuch für die Aufnahmeprüfungen an der Uni. Sie hoffte, dass ihre Ergebnisse gut genug sein würden, um BWL studieren zu können. Eigentlich sollte sie zweimal pro Schicht nach dem diensthabenden Jungen sehen, aber da eh nie was passierte, kümmerte sie sich nicht darum. Nur dass an diesem Tag doch was passierte. Tomer, der die Nachmittagsschicht hatte, rief sie auf ihrem Diensthandy an, um ihr zu sagen, dass drei Demonstranten am Checkpoint waren.
    »Haben sie mit Steinen geworfen oder so?«, fragte sie.
    »Nein, aber sie haben ein Schild. Und sie diskutieren die ganze Zeit mit mir, dass ich, na ja, ihre Demonstration auflösen soll, obwohl ich ihnen erklärt habe, dass wir keine Wirkmittel hier haben, um eine Demonstration gewaltvoll aufzulösen.«
    »Das stimmt nicht.«
    Plötzlich war sie so aufgeregt, wie sie es seit der Zeit vor der Route 433 nicht mehr gewesen war. Als Offizierin wusste sie, dass jeder Checkpoint eine Kiste mit Ausrüstung zur Demonstrantenbekämpfung hatte. Sie dachte, endlich war ihre Ausbildung mal für etwas nützlich. Und wenn die Demonstranten darauf bestanden, würde sie ihnen den Wunsch nicht abschlagen.
    Sie schloss den metallenen Ausrüstungsschrank in ihrem Zelt auf und zog eine Holzkiste heraus. Weil sie so schwer war, brauchte sie eine Weile, um sie zur Absperrung zu tragen und dann über die Straße zum Sonnenschirm zu laufen, der den Checkpoint markierte.
    »In der Grundausbildung gab es eine Übung zu Demonstrationen und solchem Zeug, aber ich hab alles vergessen«, sagte Tomer.
    Zwei der drei palästinensischen Demonstranten waren Mitte dreißig und einer war noch ein Junge, ein Junge mit den Fingern im Mund. Sie hatten nur ein Schild, ein A4-Blatt, auf dem sie mit Filzstift auf Englisch geschrieben hatten: »Gebt die 433 frei.« Einer der Männer trug ein Guns N’ Roses T-Shirt. Er hob die Hand, also signalisierte sie ihm mit einer Handbewegung vorzutreten. Als er vier Schritte von ihr entfernt war, gab sie ihm ein Zeichen, stehen zu bleiben.
    »Offizier, wir sind hier, um gegen die Einschränkung unserer Bewegungsfreiheit zu demonstrieren, was eine Kollektivstrafe darstellt und gegen internationales Recht verstößt«, sagte der Demonstrant in solidem Hebräisch mit Akzent.
    Sie legte eine Hand auf den Gewehrgriff, die andere steckte sie in die Hosentasche. »Warum seid ihr nur zu dritt? Das kann man kaum als Demonstration bezeichnen.«
    »Es tut mir leid, Offizier, diese Woche wird bei uns im Dorf eine Hochzeit gefeiert, und wie Sie sehen, ist es den anderen nicht ernst genug«, sagte er. Er verbeugte sich leicht beim Sprechen. »Könnten Sie uns vielleicht versprengen, für einen Zeitungsbericht oder so was?«
    Eigentlich wollte sie fies sein, aber der Mann war einfach süß. Er kniff beim Sprechen die Augen zusammen und sah eher aus wie ein Bankkunde, der um einen höheren Dispo bat, nicht wie ein Demonstrant. Dadurch fühlte es sich für sie ein bisschen an wie die echte Welt.
    »Mal sehen, was wir tun können«, sagte sie.
    Sie saß auf dem Asphalt und öffnete die Holzkiste. Sie enthielt schriftliche Anweisungen, die in einer einfachen Plastikhülle steckten. Tomer signalisierte dem Mann, zurückzutreten und zu warten. Er setzte sich neben sie und sie lasen beide.

Wirkmittel zur Auflösung einer Demonstration zielen darauf ab, eine Demonstration aufzulösen. Personen sollen vertrieben und kampfunfähig gemacht, aber nicht getötet werden. Allgemeine Handlungsanweisungen:
Anwendung von leichten hin zu schweren Wirkmitteln: Schock, Reizgas, Gummigeschosse. Der Schaden ist möglichst gering zu halten.

    Granate 30, die Schockgranate, sollte bei der Zielperson durch einen lauten Knall eine Schreckreaktion auslösen, damit diese Person die Orientierung verlor. In der Anleitung

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