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Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition)

Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition)

Titel: Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shani Boianjiu
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Mutter umgebracht worden war. Das Mädchen war eine israelische Araberin aus einem Dorf im Norden, und sie war von einem ihrer Brüder, die sie beide vergewaltigt hatten und dafür hart bestraft werden sollten, geschwängert worden. Das Foto zeigte sie lächelnd und in Jeans an ihrem letzten Schultag. Sie hatte das offene Lächeln eines braven Mädchens, das Lächeln einer dieser Streberinnen, mit denen man nicht mal über Serienfiguren lästern konnte. Die Mutter sollte nur eine milde Strafe erhalten, da es sich um einen Ehrenmord handelte und man andere Kulturen respektieren musste. Die Mutter hatte ein Messer, einen Stock und eine Plastiktüte verwendet, und sie schwor, dass sie das Mädchen vorher eindringlich gebeten hatte, sich selbst das Leben zu nehmen. Am Ende des Artikels wurde der Dorfmetzger zitiert, der erklärte, dass eine Frau, die Schande über die Familie gebracht hätte, wie fauliges Fleisch wäre, und dass man manchmal keine Wahl hätte. Würde man es nicht sofort abschneiden, würde sich die Schande in die ganze Familie hineinfressen.
    Die Offizierin überließ den Jungs die Zeitung, die der Liefertransporter jeden Morgen brachte, allerdings unter der Prämisse, dass Tomer ihr die schrecklichsten Nachrichten aufhob, damit sie sie abends lesen konnte. Sie wollte keine Zeit damit vergeuden, Sachen zu lesen, bei denen sie weniger fühlen würde, als möglich war.
    »Ich hätte gedacht, dass der kleine Junge losheult«, sagte Tomer. Er trug nur Unterhemd und Uniformhose, obwohl sie ihm gesagt hatte, dass sie was dagegen hatte, wenn er außerhalb der Unterkünfte halb uniformiert herumlief.
    »Hat er aber nicht«, sagte sie. »Es war nur ein Knall. Ich hätte nicht mal gedacht, dass es sie vertreibt, aber vielleicht wollten sie nur was Symbolisches.« Sie hörte, wie aus einem Haus ein Radio in einer Sprache tönte, die nicht die ihre war.
    »Bumm hat das gemacht!«, sagte Tomer. Dann sagten sie nichts mehr.
    In dieser Nacht hatte sie nicht gesagt, dass sie Teile ihres Körpers nicht mehr spüren könnte, aber auf dem Beton hatten sie so getan, als ob sie überhaupt nichts spüren könnte, und alles war gerecht und nötig, so lange die anderen Soldaten sie nicht hörten. Die Zelte standen nur fünfhundert Meter von der Scharfschützen-Absperrung entfernt, und manchmal schrie sie so laut, dass sie glaubte, sie müsste sich Gedanken machen.
    Die Stunden, die Sandkörner. Wie der Geist aus einem Jugendbuch, das sie mal im Supermarkt gekauft und gelesen hatte, glitt sie durch beides hindurch. Der Geist war in einem Haus, konnte aber keine Schubladen aufmachen und keine Kaffeetasse in die Hand nehmen. Sie konnte nichts bewegen und es war egal, dass es sie gab, man spürte sie nicht. Lea lebte in einem Nebel aus Wattebäuschen.
    Am Nachmittag darauf kamen die Demonstranten zurück. Vormittags hatte sie sich noch gefragt, ob sie wiederkommen würden. In einem der Übungstests machte sie Fehler, sogar in einer Matheaufgabe, die nur ein bisschen Algebra und gesunden Menschenverstand verlangte.
    Die Demonstranten kamen zurück, diesmal mit Ohrstöpseln.
    Lea musste die Holzkiste nicht wieder bis zum Checkpoint schleppen, weil sie den Soldaten der Frühschicht gebeten hatte, sie vorsichtshalber schon mal mitzunehmen.
    »Was können wir heute für euch tun?«, fragte sie den Mann, der vorsichtig näher kam. Er hatte dasselbe T-Shirt an wie am Vortag. Diesmal hielt der Junge das Schild, hatte aber trotzdem die Finger im Mund.
    »Keiner kommt auf die Idee, einen Artikel über ein paar Schockgranaten zu schreiben«, sagte der Mann. »Das ist das Problem, Offizier.« Er war zögerlich, wie ein Kunde, der ein Hemd gekauft hatte und es zurückgeben wollte, obwohl er es schon ein paarmal getragen hatte. Aber sein Stand war fest, als wäre er entschlossen, auf jeden Fall alles zu versuchen.
    »Der Junge könnte verletzt werden«, sagte sie. Tomer stand hinter ihr und trommelte sich mit den Fingerspitzen aufs Schlüsselbein.
    »Er ist dreizehn«, sagte der Mann. »Für Sie also ein Mann. Nach der Bar-Mizwa.«
    Er sah jünger aus. Ihr fielen die Anweisungen ein, in denen stand, dass Wirkmittel zur Auflösung von Demonstrationen nie gegen Kinder eingesetzt werden durften. Sie erinnerte sich auch an eine längere Diskussion während ihrer Offiziersausbildung, in der es darum ging, dass als Kinder alle galten, von denen man sich nicht vorstellen konnte, dass sie schon ihre Bar-Mizwa gehabt und einen Anzug getragen, in der

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