Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition)
Synagoge gelesen und das alles gemacht hatten. Diese Demonstranten kannten sich aus – gut informierte Kunden oder so ähnlich.
Die Federal, die Waffe zum Abschuss von Gasgranaten, hatte mehr Ähnlichkeit mit einer Spielzeugwaffe als alle echten Spielzeugwaffen, die sie je gesehen hatte. Im Wesentlichen handelte es sich um ein braunes, spritzlackiert wirkendes Rohr mit zwei silbernen Griffen, einen vorn und einen hinten. Die Bedienungsanleitung war lang, und außerdem wollte sie nicht, dass der Mann glaubte, er könnte sie antreiben, darum scheuchte sie ihn weg, ohne ihm irgendwas zu versprechen, und setzte sich zum Lesen auf den Plastikstuhl unterm Sonnenschirm.
Die Anweisungen bestanden komischerweise zur Hälfte aus der Geschichte der Waffe. Nach ein paar Minuten wusste sie, dass die Federal-Waffe von der Bundespolizei in New York, Amerika, erfunden worden war, von einer Firma, die Federal hieß, daher der Name. Bei der Armee frage sie sich manchmal, wer eigentlich die Anleitungen für bestimmte Abläufe schrieb, und wer das Geschriebene dann überprüfte. Anscheinend durfte jedes Dokument ein Eigenleben führen. Manchmal war die Armee noch für Überraschungen gut und nicht ganz so leblos. Selten.
Die Granate, die der Federal als Munition diente, hatte einen Durchmesser von siebenunddreißig Millimetern und enthielt CS-Gas. Sie war silbern mit einem blauen Streifen und sah sehr schön und technisch aus. Die Federal hatte ein Zielfernrohr, und das machte sie nervös, weil Tomer und sie beide absolut miese Scharfschützen waren, was der eigentliche Grund dafür war, warum sie an der Route 433 festsaßen. Aber laut Anleitung sollte man das Zielfernrohr nicht benutzen, weil der Schütze ja nicht direkt auf ein einzelnes Objekt schießt, da Gas logischerweise dispergiert. Sie fühlte sich dumm, als sie das las, aber weniger dumm als die Person, die die Waffe entwickelt hatte. In der Anleitung wurde allen Ernstes davor gewarnt, unter Verwendung des Zielfernrohrs zu schießen, weil der Schütze sonst Gas ins Auge bekommen könnte. Als sie an ihrer Hand roch, roch sie das Gas schon ganz leicht, das ihr wie ein spitzes Korn in die Lunge stach.
In der Anleitung wurde die effektive Reichweite mit bis zu achtzig Metern angegeben, aber da stand nicht, bis zu welchem Abstand es ziemlich gefährlich war, darum ließ sie die Demonstranten sich in einer Entfernung aufstellen, die sie auf ungefähr fünfzig Meter schätzte, überlegte dann noch mal und sagte, sie sollten noch ein paar Schritte weiter nach hinten gehen.
Sie versuchte, mit dem angefeuchteten Finger die Windrichtung zu bestimmen, spürte aber nichts. Sie lud die Munitionstrommel, hielt die Waffe nach unten und ließ die Trommel einrasten. Sie hoffte auf den bestmöglichen Wind und richtete die Waffe in einem Fünfundvierzig-Grad-Winkel zum Boden aus.
Die ganze Zeit über hatten Tomer und sie kein einziges Wort gewechselt. Aber jetzt gab sie ihm ein Zeichen, dass er mit ihr tauschen und die Waffe übernehmen sollte, und sagte, »du musst jetzt wirklich nur den Abzug drücken, aber drück fest, weil die Waffe keinen Sicherungshebel hat und die Erfinder das mit einem störrischen Abzug kompensiert haben«.
Danach gab sie den Demonstranten ein Signal, und obwohl Tomer nicht gezählt und keine Warnung abgegeben hatte, war da das leiseste Geräusch von etwas, das sich auflöste, und die Gesichter der Demonstranten verzerrten sich rot, feucht und schreiend, und dann rannten sie los und waren verschwunden.
Gummigeschosse
In dieser Nacht gab es nicht genug Sterne, und auf der Absperrung sah Lea aus, als würde sie weinen. In den Häusern um sie herum gingen nach und nach die Lichter aus. Auf dem Zeitungsbild, das Tomer diesmal mitbrachte, war ein Vogel, von dem es hieß, er wäre in zwei Jahren ausgestorben. Der Vogel war ein Adler mit einem grauen Kopf, aber in der Zeitung stand, es wäre ein Weißkopfseeadler, weshalb sie stutzig wurde und überlegte, ob Bild und Geschichte vielleicht gelogen waren. Aber der Blick des Vogels war so wütend, wie sie es von einem Vogel nicht erwartet hätte, auch nicht von einem, der wusste, dass er aussterben würde.
»Das ist das Schlimmste, was du heute gefunden hast?«, fragte sie.
»Kein Wort über die Demonstranten«, sagte Tomer. Am Abend des ersten Tages hatten sie die Vorkommnisse telefonisch dem Hauptquartier der Route 433 gemeldet, aber keiner schien sich für die Demonstranten zu interessieren.
In dieser Nacht lag
Weitere Kostenlose Bücher